Philipp Stölzl amalgamiert Leben und Geschichten in »Andersens Erzählungen«.

Andersens Erzählungen

Wie im Märchen?

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Die Meerhexe (Oliver Stokowski, li.) und die kleine Meerjungfrau (Isabell Antonia Höckel, re.) | © Sandra Then

Der dänische Dichter Hans Christian Andersen war kein glücklicher Mann. Und seine Märchen sind meist sehr traurig. Allen voran das der kleinen Meerjungfrau: Sie lebt am Grunde des Meeres und sehnt sich nach der Welt über Wasser. In der ihren kann sie nicht glücklich werden, sie liebt den Prinzen auf dem Land. Um ihn zu bekommen, setzt sie alles auf eine Karte. Andersen schrieb dieses Märchen, als sein Jugendfreund Edvard Collin heiratete – obwohl er ihn doch seit jeher liebte wie keinen anderen. Die kleine Meerjungfrau ist des Dichters Alter Ego: eine, die sich nach dem Unerreichbaren verzehrt.

Das Musiktheaterstück »Andersens Erzählungen« von Jherek Bischoff, Jan Dvořák und Philipp Stölzl, das nun am Residenztheater Premiere hatte, verknüpft genial Fantasie und Realität, das Leben des Dichters und seine Märchen. Moritz Treuenfels lässt den Menschen Andersen mit jeder Faser seines Körpers lebendig werden, seine Hoffnung, sein Charisma, seine Zerrissenheit und seine Verlorenheit. Er reist zur Hochzeit seines Jugendfreundes. Ihm gegenüber in der Kutsche sitzt eine kleine, etwas merkwürdige Gestalt mit grünlichem Gesicht und zerzaustem aschblondem Haar. Es ist das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern. Selbstverständlich unterhält er sich mit ihr, erzählt ihr die Geschichte der kleinen Meerjungfrau – und führt doch im Grunde ein ewiges Selbstgespräch.

Die Meerjungfrau schwebt anfangs durch eine fantastische Unterwasserwelt, die Philipp Stölzl und Heike Vollmer samt tanzender Quallen und leuchtender Fische auf die Bühne gezaubert haben. Isabell Antonia Höckel spielt das Mädchen, das seinen Blick immer wieder nach oben, Richtung Wasseroberfläche, schweifen lässt und seiner Sehnsucht in zarten Gesängen Ausdruck verleiht. Das Orchester unter der Leitung von Stephen Delaney sorgt für die passenden Klangwelten der Märchenwelt. Als aus der Meerjungfrau eine Landfrau wird, ihr recht brutal von der Meerhexe der Flossenschwanz amputiert wird, übernimmt die Tänzerin Pauline Briguet alternierend mit Anima Henn. Das Mehrspartenkonzept trägt hier kongenial das Märchen: Ihre bezaubernde Stimme hat die Meerjungfrau verkauft, an Land kann sie sich allein durch ihre Körpersprache – den Tanz – ausdrücken.

Stölzl verknüpft das Märchen mit den realen Vorgängen, die sich immer wieder in der Märchenhandlung spiegeln, von ihr zugleich kommentiert und vorangetrieben werden. Andersen eröffnet Edvards Verlobter Henriette (Linda Blümchen) eine Welt, die sie nicht kannte, die dem puritanischen Haushalt der Collins diametral entgegensteht: eine, in der es nicht um Vernunft geht, sondern um Gefühl, nicht um Beherrschung, sondern um Leidenschaft. Es ist kein Wunder, dass sie nach einer Nacht voller Märchen ihre eigene Hochzeit kein bisschen märchenhaft mehr findet: »Ich habe etwas gesehen«, sagt sie ernüchtert. »Ich habe eine Liebe gesehen, aber es war nicht meine.« Eine glückliche Geschichte ist das nicht (auch eher keine für Kinder). Aber ein überaus beglückender und bezaubernder Theaterabend. ||

ANDERSENS ERZÄHLUNGEN
Residenztheater | 30. März, 27. April | 19.30 Uhr | 24. März, 21. April | 18.30 Uhr | Tickets: 089 21851940

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