Gefühle bleiben in Christian Stückls Adaption von Juli Zehs Roman »Über Menschen« auf der Strecke.

Juli Zehs »Über Menschen«

Stadt, Land – und dazwischen?

theater in münchen

Grau in Grau auf dem Dorf (v.l. Pola Jane O’Mara, Julian Gutmann, Steffen Link, Maral Keshavarz) | © Gabriela Neeb

Intendant Christian Stückl hat seit der Eröffnung des neuen Volkstheaters sehr viel um die Ohren: Kurz nach dem Start setzte ein Wasserschaden im großen Saal die Drehbühne außer Betrieb, im Januar begann er in Oberammergau mit den Proben für die Passionsspiele, und daneben hat er noch Juli Zehs neuen Roman »Über Menschen« fürs Theater adaptiert und die Uraufführung inszeniert.

Vielleicht sollte man vorher nicht den Roman lesen und die skelettierte Bearbeitung auf sich wirken lassen. Allerdings lässt sie von den vielschichtigen Beziehungen der Figuren nur ein abstraktes Gerüst ohne emotionalen Raum übrig. Wie in ihrem verfilmten Bestseller »Unter Leuten« schildert Juli Zeh auch hier die Landflucht junger Berliner Großstädter und die Diskrepanz zum Landleben. Die Werbetexterin Dora trennt sich von ihrem Freund, einem fundamentalistischen Klimaaktivisten, und kauft ein altes Haus im brandenburgischen Dorf Bracken. Dort wählen fast alle AfD, ihr tätowierter Nachbar Gote stellt sich vor: »Ich bin hier der Dorfnazi.« Alles ist kompliziert, der Bus zum Supermarkt fährt nur selten. Bei Gartenarbeiten hilft ungefragt ein Heinzelmann, der ihr heimlich sogar ein Bett ins Haus stellt – der Nazinachbar. Beide Anwesen trennt eine Mauer, die in Zehs Roman zentraler Fixpunkt der Annäherung und Überwindung von Vorurteilen ist, mit einem abendlichen Rauchritual.

Diese Mauer fehlt in Stückls Inszenierung. Vor einen verschwommenen, bewaldeten Rundhorizont stellt Bühnen- und Kostümbildner Stefan Hageneier eine Betonplatte als Flachdach, das man über Leitern erklimmen muss. Gote (Jakob Immervoll mit wuchtiger Körperlichkeit) stapft schwer gestiefelt über eine rückwärtige Treppe herauf, er macht sich selbstverständlich breit, für ihn gibt’s nichts Trennendes. Damit gibt es auch keinen Raum für die im Roman langsam entstehenden Gefühle der Verantwortung, des Vertrauens und der Vertrautheit.

Ein fahles gelbes Straßenlicht schluckt die Farben, alles wirkt Grau in Grau. Der Wechsel zwischen farbigen und Sepia-Szenen scheint was mit Emotionen zu tun zu haben, klar wird das nicht. Ensembleneuzugang Maral Keshavarz spielt Dora im roten Latzhosenrock als ratlose junge Intellektuelle, die nicht weiß, was sie eigentlich will. Ihre Hündin – im Buch extrem wichtig als Trost, Freude und Kontaktstifterin – hat wenige wohldressierte Auftritte. Die anderen Figuren bleiben Schablonen.

Doras Ex-Freund Robert (Max Poerting) taucht ab und zu auf wie ein Fahrradkurier und muss Texte von Doras Vater übernehmen, der hier gestrichen ist. Gotes Tochter Franzi (Anne Stein) ist ein aufdringliches Gör, das Märchenfee sein will. Die blonde Sadie (Pola Jane O’Mara) plappert übereuphorisiert mit Witzen über ihre Misere als alleinerziehende Mutter mit Nachtschicht hinweg. Das schwule Blumenhändlerpaar gerät vollends zur Karikatur, Steffen Link und Julian Gutmann sind identisch hässlich als grauhaarige ComicZwillings-Zausel verkleidet. Immerhin kann Gutmann einen Showsong einlegen.

Darf eine linksliberale Großstädterin sich in einen Nazi verlieben? Unvermittelt küsst Gote Dora einmal flüchtig aufs Haar, nach langer Verblüffung küsst sie ihn auf die Wange. Aber weil so was nicht sein darf, muss bei Zeh ein tödlicher Tumor her, dem Gote mit Suizid zuvorkommt. Stückl hat den Kern herausgearbeitet, aber alles so verkürzt, dass Zwischentöne auf der Strecke bleiben. Dem Roman wird die Aufführung nicht gerecht, doch die beiden Hauptdarsteller lohnen das Anschauen. ||

ÜBER MENSCHEN
Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | 18., 23., 24. Feb. | 19.30 Uhr | Tickets: 089 5234655

Weitere Theaterkritiken gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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