Regisseur Philipp Stölzl liefert im Residenztheater mit Mathew Lopez’ »Das Vermächtnis« ein Meisterwerk ab.

Das Vermächtnis

Liebe ist loslassen können

vermächtnis

Die Kunst des Geschichtenerzählens kehrt zurück. Nach all den oft nur selbstbespiegelnden Performances der letzten Jahre gibt es plötzlich wieder Familiensagas, epochenübergreifende Gesellschaftsporträts wie die »Effingers« in den Kammerspielen, »Die Träume der Abwesenden« im Residenztheater. Und Regisseure, die einen großen Bogen mit langem Atem erzählen können. Nun trumpft das Resi mit einem Meisterwerk auf: Philipp Stölzl inszenierte »Das Vermächtnis« von Matthew Lopez. Ein Riesenbrocken, für die Schauspieler wie das Publikum. Beide Teile zusammen dauern sieben Stunden, fünf reine Spieldauer plus drei Pausen. Man kann die Teile auch einzeln an zwei Tagen sehen. Mit Genehmigung der Intendanz dürfen wir von der Voraufführung berichten, weil die um eine Woche verschobene Premiere jenseits unseres Redaktionsschlusses lag. Kann also sein, dass sich noch Kleinigkeiten ändern, vor allem am Schluss. Das dürfte den Gesamteindruck kaum beeinträchtigen, und der ist: großartig und spannend bis zur letzten Minute.

Matthew Lopez schrieb sein Epos als Nachfahre von Tony Kushner, der 1993/94 sein zweiteiliges, preisgekröntes Drama »Angels in America« über Homosexuelle in New York veröffentlichte. Das wird – schon lange geplant – Simon Stone am Resi inszenieren, Premiere soll im Juni sein. Lopez konzentriert sich wie Kushner auf drei Schicksale der Schwulen-Community, die vielschichtig verknüpft sind. Sein Protagonist ist Eric, der sich selbst für unbedeutend hält. Er verliebt sich in den großspurigen Toby Darling, der mit seinem angeblich biografischen Roman »Loved Boy« zum Schickeriastar wird und daran zugrunde geht. Der Dritte ist der ältere Walter, der früh in einem Landhaus die ersten AIDS-Opfer bis zum Tod gepflegt hat. Walter ist als Doppelfigur von Anfang an präsent, als Erzähler Morgan. Der ist der britische Schriftsteller E.M. (Edward Morgan) Forster, der zu Lebzeiten (1879–1970) seine Homosexualität nie zugab. Sein Schwulenroman »Maurice« von 1913 wurde erst postum veröffentlicht. Wie sein hier oft zitiertes Buchs »Howard’s End« heißt ein abgelegenes Landhaus, Zufluchtsort für gesellschaftsüberdrüssige Londoner. Ein solcher Ruhepunkt ist das Landhaus von Walter, das nach seinem letzten Willen Eric erhalten soll. Bis dieser Wille erfüllt wird, gibt es viele Verwicklungen.

Stölzls Inszenierung beginnt mit einer Schreibwerkstatt: Vor schwarzen Backsteinwänden sitzen schwarz gekleidete junge Männer, diskutieren über Beginn und Entwicklung eines Stücks. Sie mischen sich ein mit Kommentaren, schlüpfen in Rollen, werden Erzähler. Diese Wechsel funktionieren so reibungslos wie die Wandlungen des Bühnenbilds (entworfen vom Regisseur): Mit jeder 90°-Drehung offenbart der Betonkubus einen neuen Innenraum – passend zum Bewohner. Die Blase ist dort unter sich – im atemlosen Kreislauf aus Partys, Small Talk, Love Affairs und aufkommender AIDS-Angst. Das Ensemble ist fabelhaft: Thiemo Strutzenbergers stets zweifelnder und doch moralisch unerschütterlicher Eric trägt facettenreich die ganze Aufführung. Moritz von Treuenfels irrlichtert als Gegenpart Toby hektisch im Koks- und Erfolgsrausch bis zur tödlichen Selbsterkenntnis. Der Schauspieler Adam, Hauptdarsteller in Tobys Bühnenstück, wird für beide zum Objekt der Begierde. Ihn ersetzt der Stricher Leo als Double: Ensembleneuling Vincent zur Linden zeigt in dieser Doppelrolle mit Bravour allein mit Körperhaltung den geprügelten Underdog Leo. Das Jason-Pärchen (Nicola Mastroberardino, Florian Jahr) heiratet und verspießert mit Kindern, Jasper (Simon Zagermann) rastet manchmal aus. Dazwischen geistert der weise Gentleman Morgan (Michael Goldberg), der als Walter Erics Leben umdreht. So fügt sich auch Walters Ex-Partner Henry Wilcox in den Beziehungsreigen: Resi-Rückkehrer Oliver Stokowski spielt den ehewilligen, aber liebesunfähigen Unternehmer angemessen reserviert.

Der zweite Teil ist deutlich elegischer und melancholischer grundiert, verlangsamt das vorher rasante Tempo. Und führt die Fäden zusammen. Wenn am Ende das alte Landhaus mit abgeblätterter Fassade dasteht, erzählt Nicole Heesters unter einem gewaltigen Ahorn mit rotem Laub in einem anrührenden langen Monolog, wie sie ihre humanistische Aufgabe gefunden hat, die nun auch Erics ist. Philipp Stölzl ist eine große Inszenierung gelungen, seine Schauspieler danken es mit herausragenden Leistungen. ||

VERMÄCHTNIS I UND II
Residenztheater | 17. Feb. | 19.30 Uhr (Teil 1) | 18. Feb. | 19.30 Uhr (Teil 2) | 19. Feb. | 16 und 20 Uhr (Teil 1 und 2) | 17. März | 19.30 Uhr (Teil 1) | 18. März | 19.30 Uhr (Teil 2) | 19. März | 15 und 19 Uhr (Teil 1 und 2)
Tickets: 089 21851940

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