Das Münchner Künstlerduo Rasthofer/Neumaier hat im Innenhof der Glyptothek die mobile Skulptur »Raum O« aufgestellt – ein mobiles, modulares und benutzbares Objekt.
Rasthofer/Neumaier. Raum 0
In Spiegeln lauert die Erkenntnis
»Das Runde muss ins Eckige«, sagte nicht nur der legendäre Bundestrainer Sepp Herberger, sondern vor kurzem auch das Künstlerduo Hildegard Rasthofer (*1967) und Christian Neumaier (*1965). Allerdings ging es dabei nicht um ein klingelndes Wortspiel, welches das wesentliche Ziel des abgeschossenen Fußballs beschreibt, ins Tor zu gelangen. Vielmehr entdeckten die beiden einen quadratischen Wunsch-Standort für ihren lange erdachten, auf Umsetzung wartenden kreisrunden »Raum O«.
Sie saßen mit einigen ihrer Teammitglieder in einer stadtbekannten Oase der Ruhe, im Innenhof der Glyptothek und schmiedeten geradezu verwegene Pläne. Hier sollte es realisiert werden, das außen und innen verspiegelte Rund, fast vier Meter hoch mit fast zehn Metern Durchmesser und 23 Tonnen schwer. Sechs bewegliche Flügel sollte es haben, die man wie Schiebetüren zum Öffnen und Schließen des komplett leeren Innenraums hin und her schwenken kann. Platziert werden sollte der »Raum O« in genau diesem Innenhof, in dem sie gerade saßen. In dem betret- und benutzbaren Kunstobjekt, das zwischen architektonischer und plastischskulpturaler Gestaltung changiert, wird der Besucher und Betrachter zum Akteur und Teilnehmer. Er erlebt darin spaßige Momente – aber möglicherweise auch besinnliche und im besten mehrfachen Wortsinne: das eigene Selbst reflektierende.
Im ersten Moment war der konsultierte Direktor des Hauses, Florian Knauß, von der Idee noch nicht überzeugt. Er konnte sich das recht massiv-monumentale, architektonisch futuristische Teil in diesem Ambiente schlecht vorstellen. Das geht wahrscheinlich auch vielen anderen Menschen so, die ja selten Architekten oder Künstler mit einer präzisen Vorstellungsgabe für zukünftige, geplante Räume sind. Was man sich natürlich vorab noch viel weniger vorstellen konnte: was dieses fertige Ding, das weniger an den Spiegelsaal in Versaille als vielmehr an die optischen Täuschungen in Spiegelkabinetten auf Jahrmärkten erinnert, wirklich auslösen würde.
Nun kann man es erleben: Von außen wirken die gespiegelten Betrachter spindeldürr wie Giacometti-Skulpturen, im Inneren aufgeblasen wie von Botero gemalt. Gut, das ist ein gewagter Vergleich. Aber die konkave beziehungsweise konvexe Oberfläche der recht unempfindlichen spiegelpolierten Edelstahl-Flügel sorgt dafür, dass man sich nie, fast nie so sieht, wie man meint, dass man ist. Mal erscheint man ins viel zu Dicke, mal ins viel zu Dünne verzerrt.
Die natürlichen Proportionen des Menschen verschwinden völlig. Zu sehen sind ausschließlich Zerrbilder in ständiger Veränderung. Ein Monster löst das nächste ab, verschwimmt und kreiert sich wieder neu. Am Schluss hat man in »Raum O« nicht nur das Gefühl für den menschlichen Maßstab, sondern auch die Orientierung total verloren – und ist so durcheinander, dass man nicht mehr weiß, zu welchem der sechs Flügel man hineingegangen ist. Die Verantwortlichen befürchteten sogar, manche könnten in Panik geraten.
Warum aber lässt sich die Glyptothek, die sich ja die Vermittlung der klassischen Antike auf die Fahnen geschrieben hat, dieses – freilich faszinierende – Gebilde in ihren einzigartigen Innenhof stellen, der ja sommers wegen seiner schönen Abgeschiedenheit von Café-Besuchern und Flaneuren so geschätzt wird? Knauß sagt, dass sich die von Leo von Klenze entworfene Glyptothek von Anfang an, also seit 1830, der Gegenüberstellung antiker und zeitgenössischer Kunst widmete. Was Ausstellungen wie die über Jim Dine, Santiago Calatrava und andere unterstreichen. Allerdings geht es hier nicht um eine Anverwandlung klassischer Menschenbilder, sondern um eine Art Demontage-Erfahrung mit dem menschlichen Körper und seiner Verzerrung, was einen ebenso zu neuen Erfahrungen und Ideen bringen kann wie die Auseinandersetzung mit klassischen Figuren. Hier wird also das skulpturale Erlebnis zur inspirierenden Konfrontation.
Was treibt aber das Duo Rasthofer/Neumaier an? Vielleicht schaut man sich dafür mal ihre erste große Skulptur im öffentlichen Raum an. Die war ein 32 Meter hohes Ausrufezeichen gen Himmel und hieß »Sichtung«. Zu sehen war das überaus schlanke, 70 Tonnen schwere, begehbare modulare Objekt, das aus 13 aufeinander gestapelten Stahlelementen besteht, schon an verschiedenen Orten, darunter auch im Münchner Kreativquartier. Zum einen sind die gigantischen Objekte der beiden sozusagen skulpturale Nomaden, die auf Wanderschaft gehen können. Zum anderen ist ihnen die Auseinandersetzung mit dem Standort und der umgebenden Situation wichtig. Dazu kommt die Interaktion mit dem Besucher. »Sichtung« kann man besteigen und vom Gipfel aus das darunter liegende Territorium genussvoll betrachten.
Ihre Werke, die perfektes konstruktivesHandwerk, moderne Technik sowie innovative Architektur und Design beinhalten, sind schon in der Planung und auch in der Konstruktion überaus anspruchsvoll. Das zu stemmen gelingt nur einem gut eingespielten Team.
Raumgreifende Kunst-Objekte dieser Art sind nicht zuletzt deshalb eher selten. Auf die Frage nach Inspirationen meint Hildegard Rasthofer, dass sie zwar Künstler wie etwa James Turrell, Richard Serra und Dan Graham oder die Bildhauerin Rachel Whiteread schätzen und beobachten. Aber Vorbilder gäbe es eigentlich nicht. Einen findet man, der mit einem viel kleineren, aber ebenso anspruchsvollen Objekt auf der Kunstbiennale in Venedig 1986 einen (kleineren) Aufruhr verursachte. Isamu Noguchi (1904–1988), dem als erstem Künstler überhaupt der gesamte amerikanische Pavillon zur Verfügung gestellte wurde, hatte damals vor dem Pavillon die monumentale Skulptur »Slide Mantra« platziert. Sie besteht aus sieben ineinander greifenden Teilen aus weißem Carrara-Marmor, wiegt etwa 120 Tonnen und wurde in einer logistisch aufwendigen Aktion in der Gondel- und Lagunenstadt auf die Giardini transportiert. Man konnte in einer Treppe hochsteigen und dann auf einer Marmorrutsche in eine Art Sandkasten aus Sägespänen und Holzstückchen herunterrutschen. Viele fragten sich damals eher ratlos, ob das denn nun Kunst sei oder ein lustiges Element eines Kinderspielplatzes – was sich inzwischen wohl erledigt hat. So gesehen befinden sich Rasthofer/Neumaier jedenfalls in bester Gesellschaft. ||
RAUM O – RASTHOFER/NEUMAIER
Glyptothek, Innenhof | Königsplatz 3 | bis 14. April | täglich außer Mo 10–17 Uhr, Do bis 20 Uhr
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