Mit seiner neuen Arbeit »Von Ewigkeit zu Ewigkeit« setzt Stefan Hunstein die Reihe seiner Videoinstallationen in der Kirche St. Paul fort.
Stefan Hunstein: »Von Ewigkeit zu Ewigkeit«
Der Blick der Frauen
Unter dem provokanten Ausstellungstitel »Und wir sollten schweigen?« wurde vor zwei Jahren in der Kirche St. Paul an der Theresienwiese den Frauen das Wort gegeben, um der Vormachtstellung der Männer entgegenzuwirken. Das Motto war dem Apostelbrief des Paulus entlehnt: »Die Frauen sollen schweigen in den Versammlungen, denn es ist ihnen nicht erlaubt zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen […]«. Zur Enttäuschung mancher wurden in den Arbeiten der Künstlerinnen damals eher leise Töne angeschlagen, ihre Botschaften verhallten in der monumentalen neugotischen Architektur. Doch jetzt wird in St. Paul den Frauen
erneut Raum gegeben. Schweigend zwar, doch mit ihrer Präsenz und Unmittelbarkeit beziehen sie unmissverständlich Position: Es gibt uns. Wir sind da. Wir können nicht mehr übersehen werden.
Regelmäßige Gäste in St. Paul kennen sie schon, die große schwarze Wand mit den sieben Monitoren im rechten Seitenschiff in Höhe des Altars, auf denen die Videoinstallationen mit den bewegten Bildnissen des Fotokünstlers und des in München seit seiner Zeit an den Kammerspielen wohlbekannten Schauspielers Stefan Hunstein laufen: 2014 die Arbeit »Gegenwart …!« mit den Porträts der vom Leben gezeichneten Männer, seit 2016 die Version »Zukunft«, die Reihe der konzentriert nach unten blickenden Kinder. Der dritte Teil der Trilogie nun gilt den Frauen. »Von Ewigkeit zu Ewigkeit« – der Titel dieser Videoinstallation bezieht sich auf das alte lateinische Gebetsende »in saecula saeculorum«. Bis in alle Ewigkeit gleichsam wird der permanente Auf- und Abtritt der Frauen symbolhaft fortgeschrieben.
Die Frauen auf den sieben Monitoren sind frontal auf die Betrachter*innen ausgerichtet und blicken ihnen trotz leicht bewegter Mimik offen und unausweichlich in die Augen. Nach zwei Minuten ohne Kommentar und Handlung wenden sie sich ab, und in einer kurzen Überblendung dreht sich eine neue Frau ihrem betrachtenden Gegenüber zu. Scheinbar starr und doch mit minimaler Bewegung ausgestattet, sind die Porträts auch diesmal wieder im Zwischenbereich von Fotografie und Film angesiedelt. Der Wechsel der insgesamt 21 Frauen istnicht synchron, sodass sie in den sieben Nischen in immer neuen Konstellationen erscheinen und eine zusätzlich bewegte, scheinbar endlose, »ewig« andauernde Dynamik entsteht.
Während die Männer aus der ersten Videosequenz fast archaisch wirken und stark verschattet aus dem Dunkel heraus nur verhohlen den Blickkontakt suchen, treten die Frauen aus dem Hellen hervor. Ein leichter Lichtkranz hinterfängt sie und ässt sie noch lebensnaher erscheinen. Es sind Frauen aus dem Hier und Jetzt, jungen bis mittleren Alters, die trotz unterschiedlicher Haar- und Hautfarbe oder Ethnie einen Typus repräsentieren: die urbane selbstbewusste Frau des 21. Jahrhunderts. Keine der Frauen ist alt, gebrechlich oder ungestalt. Nicht mal eine trägt eine Brille. Das typisch männliche Frauenbild, möchte man kritisch einwenden. Tatsächlich dient Stefan Hunsteins künstlerisches Kalkül der Idealisierung eines Zustands: schöne Frauen, deren Präsenz und Offenheit wie selbstverständlich wirken, und die, im Leben stehend, das weibliche Prinzip der Reproduktion von Leben repräsentieren.
»In diesen schwierigen Zeiten, die voll von Katastrophennachrichten sind, möchte ich eine optimistische Vision zeigen. Unvoreingenommen offen ist der Blick aller porträtierten Frauen. Hierin liegt eine Chance für die Zukunft.« Ob er dabei an die katholische Kirche denkt? Stefan Hunstein selbst behauptet, mit seiner Arbeit keine politische Absicht zu hegen oder einen Kommentar im Sinne von Maria 2.0 abgeben zu wollen. Die Videos mit den Frauen, das sei nach den Männern und den Kindern nur die logische Konsequenz der Trilogie.
Als Betrachter*in wird man Teil der Arbeit, weil man der Illusion erliegt, angeschaut zu werden. Stundenlang könnte man sich in diesen Blicken versenken, mit den Frauen in einen stummen Dialog treten, versuchen, in den Gesichtern zu lesen. Mögen die subtilen Regungen auch scheinbare Einblicke in das Seelenleben erlauben – schlussendlich bleiben die Frauen in diesen Porträts Fiktion. Doch im Kontext des Kirchenraums entwickelt diese Fiktion eine besondere Wirkung. Hier und nur hier entfaltet die Gruppe der Frauen ihre provozierende, polarisierende Kraft. In einem Museum würde die künstlerische Arbeit von Stefan Hunstein anders betrachtet werden. In der Kirche, einer katholischen noch dazu, wird diese Arbeit, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, zum Statement, zum Politikum.
Das Engagement der Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising ist nicht selbstverständlich. Ulrich Schäfert und Rainer Hepler engagieren sich in der Kirche St. Paul seit vielen Jahren für zeitgenössische Kunst in Form von temporären Ausstellungen und Installationen. Gerade wird zur Adventszeit im hinteren rechten Seitenschiff eine aktuelle Videoarbeit von Monika Huber präsentiert. Noch immer ist es ein mutiges Unterfangen, Kunstinterventionen wie die der sechs Künstlerinnen vor zwei Jahren sowie auch die fotokünstlerische Arbeit von Stefan Hunstein durch ihren Ankauf vorbehaltlos in ihrer Kirche möglich zu machen und mitzutragen. Rainer Hepler kennt die künstlerische Arbeit von Hunstein schon seit 2000, als er in der Kirche St. Bonifaz eine nicht ganz unumstrittene Installation des Künstlers ermöglichte: »Wir brauchen das Neue, damit etwas weiter wächst.«
Doch dazu bedarf es vieler Vermittlungsarbeit, begleitender Flyer, Kataloge, aber auch zahlreicher Angebote zum Gespräch über Kunst. Ein Weg, der nicht immer leicht ist. Hierzu dient auch das Format der »TatOrtZeit« in St. Paul. Immer sonntags um 20.15 Uhr, zunächst als Eucharistiefeier mit Bildpredigt und Konzert entwickelt, seit der Pandemie als Kunstandacht mit Bild, Text und Musik und ohne Ritual, ist die Veranstaltung ein wunderbares Angebot für all diejenigen, die Lust haben, mit einem ungebundenen, aber dennoch spirituellen Sinnieren über Kunst und das Leben bei den Klängen von Organist Peter Gerhardtz und wechselnden Musikern die Woche abzuschließen. Hunsteins »Von Ewigkeit zu Ewigkeit« wird bis zur Fastenzeit zu sehen sein, dann wird entschieden, welche Videoinstallation danach gezeigt wird. ||
STEFAN HUNSTEIN: »VON EWIGKEIT ZU EWIGKEIT«
Kirche St. Paul | St.-Pauls-Platz 11 an der Theresienwiese
bis Ende Februar 2022 | täglich 8.30–17 Uhr | 23./24., 27.–31. Dez., 3.–5. Jan., stündlich 9–16.30 Uhr: Klangkrippe von Stefan Hunstein und Axel Nitz | Sonntagsveranstaltungen der Kunstpastoral
Weiteres zur Kunst in München finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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