Albert Hien macht bei Walter Storms das Licht an.
Albert Hien
Lass dich nicht blenden!
1905 entwickelte Albert Einstein eine Theorie, nach der viele kleine Impulsstöße zu einer zeitabhängigen Kraft führen, die in zufällige Richtungen weist. Diese Idee dachte der französische Physiker und Erfinder George Claude weiter und brachte nur fünf Jahre später die erste Neonlampe zum Strahlen.
Wir schlagen im Physiklexikon nach: Neon ist ein farbloses, äußerst reaktionsträges, einatomiges Edelgas. Die bekannteste Anwendung sind Glasröhren, die mit Neongas befüllt werden, das durch hohe elektrische Spannungen in Schwingungen versetzt wird. Dabei entstehen kleine Explosionen, die man als Licht wahrnimmt. Typisch für Neonlicht ist seine orangerote Farbe. Je nach Wellenlänge reicht das Farbspektrum von Grün bis Rot. Blau- und Violett-Töne erreicht man durch den Einsatz des dem Neon verwandten Edelgases Argon. Bis zum russischen Überfall 2022 produzierte die Ukraine etwa 70 Prozent der Neon-Weltbedarfs. Da Neon als Trägergas unverzichtbar bei der Herstellung vieler Halbleiterprodukte ist, kann ein Engpass weltweit zu gravierenden Problemen führen.
Seit der Pop Art ist Neon ein Material, das Künstler wie James Turrell, Dan Flavin, Maurizio Nannucci, Bruce Nauman, Tracey Emin und Olivia Steele fasziniert. Skulpturen aus Licht schaffen Metaebenen, die in geglückten Fällen buchstäblich für Erhellung sorgen. Der in München lebende Lichtbildhauer Albert Hien reiht sich in die Riege dieser Neon-Künstler ein. Er war mit seinen Objekten u. a. auf der documenta 7 und 8 vertreten und präsentierte seine Arbeiten in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Celle, Antwerpen und im Münchner Lenbachhaus. Von 2001 bis 2023 war er Professor an der Münchner Kunstakademie. Und seit über 40 Jahren ist er ein konstanter Weggefährte des Galeristen Walter Storms. Gewissermaßen als Mitbewohner bespielt er gerade zum 15. Mal in einer Einzelausstellung die hohen weißen Räume der Galerie in einem Rückgebäude an der Schellingstraße.
Hien wandelt Energie und Baumaterialien um in Aussagen, indem er den sogenannten technischen Fortschritt der Moderne einerseits nutzt, ihn andererseits in all seiner häufigen Absurdität in Frage stellt. Der von veränderten klimatischen Verhältnissen beeinflusste weltweite Vogelflug, Warm- und Kaltluftströmungen, die über Wohl und Wehe von Ernten und ganzen Landstrichen entscheiden, arbeitsmigrantische Bewegungen in Italien, Bombenabwürfe und -explosionen über – stellvertretend für unzählige andere Kriegsschauplätze – Tel Aviv oder pure geometrische Formen, verkleidet als Buchstaben, werden bei Albert Hien zu Themen, die vom Leben auf besondere Weise erzählen. Die Kombination von Stahl, Glas und Gas, das durch Strom zu Licht auf gebranntem Untergrund wird, entfaltet eine eigenartige, eiskalte Poesie, egal wie warm es leuchten mag. Betrachtet man die Wandinstallationen »Square« und »Cross« von der Seite, sieht man, wie das Licht schwimmt, bevor es zur Form wird. Die Zeit, bis es sich im menschlichen Gehirn als klare Linie manifestiert, ist die Strecke einer Verunsicherung: Glaube nichts, was du siehst. Lass dich nicht blenden. Es könnte alles auch ganz anders sein. ||
ALBERT HIEN: MOVIMENTI
Walter Storms Galerie | Schellingstr. 48, Rückgebäude | bis 30. März | Di–Fr 11–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr
Weitere Kritiken und Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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