»München Displaced« veranschaulicht in zwei Ausstellungen das Lager- und Übergangsleben von Schoah-Überlebenden und anderen Heimatlosen nach 1945.

München Displaced

»Heimatlose Ausländer«

münchen displaced

Gleb Bulanow vor seiner Wohnbaracke in Oberschleißheim, Fotografie, Ende der 1940er Jahre © Privatbesitz der Familie Bulanow

Nun ist sie festgeklopft, die fruchtbare Allianz zwischen dem Jüdischen und dem Münchner Stadtmuseum. Sie gibt den Inhalten einGerüst: Was mit globalem Anspruch im Jüdischen Museum thematisiert wird, kann ortsspezifisch im Haus gegenüber vertieft werden. Mit der Ausstellung über die Geschichte und das politische Ziel von Radio Free Europe als mediales Bollwerk gegen den Kommunismus hat diese intensive Zusammenarbeit begonnen. Die aktuelle zweiteilige Schau »München Displaced – heimatlos nach 1945« und »München Displaced – der Rest der Geretteten« ist weit umfassender und facettenreicher. Sie hat die Anstrengungen zum Thema, wie im zerbombten Nachkriegsmünchen nach dem Zusammenbruch des »Tausendjährigen Reiches« der Zustrom abertausender Flüchtlinge, sogenannter Displaced Persons, kurz DPs, kanalisiert wurde mit dem erklärten Ziel, dass Deutschland von diesen nur als Zwischenstation begriffen würde.

Die Kuratorinnen Jutta Fleckenstein und Ulrike Heikaus haben für die zweiteilige Ausstellung »München Displaced« in akribischen Recherchen eine Fülle an Material gesammelt. Im Stadtmuseum wird in »Heimatlos nach 1945« en détail aufgezeigt, wie sich das Leben von etwa 100.000 Gestrandeten, Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Überlebenden nach Ende des Zweiten Weltkriegs in München gestaltete. Das Jüdische Museum widmet sich den jüdischen DPs.

Das staatlich vorgegebene Ziel beider heimatlosen Gruppen, die in sich keineswegs homogen waren, war die Auswanderung, da die Rückkehr in die alten Heimatorte illusorisch war. Für dieses alltägliche Übergangsleben samt den Vorbereitungen zur Ausreise, wollten und mussten sie sich erst einmal die notwendige Infrastruktur schaffen. Es waren die Amerikaner und damit namentlich die Hilfsorganisation der UN, genannt UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation-Administration), die bis 1948 bei der Unterbringung, Versorgung und schließlich der Ausreise der Heimatlosen halfen. Eine herkulische Anstrengung. Unter der Naziherrschaft waren 13 Millionen Menschen, meist aus Osteuropa, als Zwangsarbeiter in Viehwaggons zu ihren Sklaveneinsätzen verschleppt worden, während die Juden in die Todeslager transportiert wurden.

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Den ersten buddhistischen Tempel in München gründeten Kalmück*innen in einer Lagerbaracke in Ludwigsfeld, Fotografie, 1958, München © Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek

Von den Überlebenden der Schoah wollte kaum jemand bleiben im Land der Mörder. Darüber hinaus hatte sie das Judenpogrom in Kielce in Polen am 4. Juli 1946 darin bestärkt, nach Westen weiterzuziehen und ihre einstige Heimat für immer hinter sich zu lassen. Sämtliche nichtjüdischen Flüchtlinge flohen vor Stalins vorrückenden Truppen. Formal sind beide Ausstellungen identisch aufgebaut: Als Betrachter zieht man durch die Stadtteile Münchens von Straße zu Straße, wo sich das Leben der DPs manifestierte. Am prominentesten bei den jüdischen DPs: die Möhlstraße in Bogenhausen, vielfach einseitig negativ konnotiert mit dem Schwarzmarkt, wo übrigens hauptsächlich nichtjüdische Münchner einkauften. Dort aber oder in nächster Nähe befanden sich alle lebensnotwendigen kulturellen und wirtschaftlichen Einrichtungen sowie sämtliche Ämter, die eine Auswanderung ermöglichen sollten. Nach Palästina, das damals unter britischem Mandat stand, zum Beispiel. Es war auch die Möhlstraße, wo es zu blutigen Ausschreitungen bei einer Demonstration anlässlich des Seegefechts der »Exodus« vor Palästina kam. Die Briten hatten den 4.500 Flüchtlingen an Bord die Aufnahme verweigert. Zusätzlich hatte ein antisemitischer Leserbrief in der »SZ« zum Thema die Stimmung aufgeheizt. Der Einsatz berittener Polizei gegen die Demonstranten artete in eine Straßenschlacht aus. Keine Frage, wer dabei den Schwarzen Peter zog …

Makabre Ironie der Geschichte für alle DPs: Nach dem Lager war vor dem Lager. Denn die befreiten KZ-Häftlinge, die Zwangsarbeiter der Nazis, aber bestimmt auch nicht wenige KZ-Aufseher auf der Flucht, sie alle kamen, unbesehen ihrer Geschichte, ihrer Vergangenheit, in die sogenannten DP-Lager, die erst Ende der Fünfzigerjahre aufgelöst wurden. Die Juden hatten immerhin ihre eigenen Lager. In Feldafing, in Landsberg, zum Beispiel. Und in Föhrenwald bei Wolfratshausen, das in den späten Vierzigerjahren gleichsam zu einem Schtetl mutiert war, jiddisches Kulturprogramm inklusive. Die Überlebenden der Schoah nannten sich She’erit Hapleta, das bedeutet auf Deutsch »Der Rest der Geretteten«. Der menschliche Rest meint die nur drei Prozent aller Juden in Deutschland, die die Schoah überlebt hatten. Die Übriggebliebenen, die im Land blieben, begründeten die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik. Ihnen ist naturgemäß die Ausstellung im Jüdischen Museum gewidmet.

Für die über den Münchner Nordwesten verteilten nichtjüdischen DPs wurde schließ- lich eine im Jahr 1950 bezugsfertige Siedlung in Ludwigsfeld nahe Milbertshofen und Feldmoching gebaut. Von der Vielzahl ihrer Herkunftsländer und Konfessionen zeugen nicht nur Fotos und Interviews, sondern auch eine Reihe kleiner osteuropäischer orthodoxer Kirchen, die sie erbaut hatten. Exotischer als alle anderen sakralen Bauten ist ein buddhistischer Tempel, wo heute noch die Nachkommen einer in Ludwigsfeld gestrandeten kalmückischen Familie beten. Außerdem erwuchsen Bildungseinrichtungen in Gestalt der internationalen UNRRA-Universität im Deutschen Museum und der Ukrainischen Freien Universität.

Die einen wie die anderen DPs gelten bis heute als »heimatlose Ausländer« mit einem entsprechenden Pass. Ihnen blieb bis vor wenigen Jahren die Einbürgerung in Deutschland verwehrt. Umstandslos eingebürgert hingegen wurden Heimatvertriebene, nicht wenige unter ihnen, die einst ihrem »Führer« zugejubelt hatten, als er sie samt ihren Städten und Ländereien »heim ins Reich« holte. So die Fakten. Die (politischen) Schlüsse aus den beiden reich bestückten Ausstellungen aber muss jede(r) für sich selbst ziehen. ||

MÜNCHEN DISPLACED. DER REST DER GERETTETEN.
Jüdisches Museum | St.-Jakobs-Platz 16
MÜNCHEN DISPLACED. HEIMATLOS IN MÜNCHEN NACH 1945
Münchner Stadtmuseum | St.-Jakobs-Platz 1
beide bis 7. Januar | Di bis So 10–18 Uhr| Führungen hier und hier.
Weitere Besprechungen zu Ausstellungen in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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