»DENKRAUM DEUTSCHLAND: feminin« versammelt in der Pinakothek der Moderne 14 Positionen, die möglicherweise mit femininer Energie einen künstlerischen Wandel einleiten.
»DENKRAUM DEUTSCHLAND: feminin« in der Pinakothek
Denken im Raum
»Wassertropfen steigen auf.« Ein Satz, der schnell gelesen zunächst auf keine Weise besonders wirkt. Wagt man jedoch einen zweiten Blick, so entfaltet sich seine Magie. Was es mit dieser Magie auf sich hat, wird im Oktober bei »DENKRAUM DEUTSCHLAND: feminin« zu sehen sein, einem Kunstprojekt, welches in Zwischennutzung einen Raum der Pinakothek der Moderne bespielt und dieses Jahr bereits in die dritte Runde geht. Entstanden aus dem Kunstvermittlungsprogramm »TOGETTHERE« des Museums, widmet sich die Ausstellung diskursiv-künstlerischen Denkprozessen und ihrem politischen Potenzial. Der Kurator Miro Craemer versteht sich hierbei vor allem als Organisator, die Inhalte bestimmen die 14 Künstler*innen selbst. 2021 finden unter dem Motto »:feminin« Werke und Performances ihren Weg ins Museum, die sich mit Femininität, Feminismus und femininer Energie in der Kunst auseinandersetzen, mal politisch, mal ganz persönlich. Craemer selbst fand seinen Zugang zur Kunst durch Frauen und sieht in der femininen Kraft, in Emotionen und in Feingefühl großes Potenzial für einen künstlerischen Wandel.
So entsteht ein Ort der Begegnung und des Austauschs, in dem Kunst erfahrbar und zum Anlass genommen wird, um über Dinge und Angelegenheiten zu reden. Die Münchner Künstlerin Tomma Galonska hat dies ganz wörtlich genommen und in der Mitte des Raumes einen Platz geschaffen: definiert durch ein gelbes Pentagon aus Bänken. Die Installation ist offen für alle und lädt zum Verweilen ein. Ein äußeres Pentagon verläuft draußen um die Pinakothek. Sichtbar wird es jedoch nur durch Texte, die die Künstlerin als Sprechaktkomposition in der Ausstellung vortragen wird. Aus einem städtischen Stipendium ist Galonskas Beitrag »Pentagon – Zur Verteidigung der Besinnung« entstanden. Bereits im Frühjahr 2021 zog sie mit der Künstlerin Rasha Ragab los, um in der Gegend des abgesteckten Pentagons im Stadtraum nach Motiven zu suchen. Im Anschluss bat sie acht Frauen mit verschiedensten Lebenshintergründen, sich fünf Minuten Zeit zu nehmen, das ihnen zugeloste Motiv zu betrachten und aufzuschreiben, was ihnen dazu einfiel. Begleitet wurden sie von der Fotografin Katharina Kreye, deren Aufnahmen ebenfalls zu sehen sein werden.
17 Texte sind so entstanden, frei und ganz verschieden, zu verstehen als radikale Unterbrechung der alltäglichen Wahrnehmungsroutine – wie eben die Beobachtung »Wassertropfen steigen auf«. Öffentlicher Raum und Stadtarchitektur werden neu erkannt, durch bewusstes Betrachten und Wahrnehmen. Und nicht nur die Autor*innen der Texte machten diese Erfahrung, auch die Besucher*innen der Ausstellung sind eingeladen, sich auf diese Art der Besinnung einzulassen. Besinnung als »Unterreizung«, als neuer Aufmerksamkeitsraum, in dessen Rahmen die Parameter des Sehens und Wahrnehmens neu justiert werden: Dieser aktive Akt der Konzentration und das Leiten der Aufmerksamkeit erfordern nicht nur das Denken mit dem Kopf, sondern gleichsam mit dem gesamten Körper.
Es ist möglich, die Performance Galonskas mitzugestalten, aber auch einfach nur zuzuhören und zuzusehen. Denn anders als das Wort »Sprechaktkomposition« zunächst vermuten lässt, sind wie bei der Besinnung auch hier nicht nur Sprache und Töne involviert, auch Bewegungen gehören dazu. So bilden Körper, Stimme und Raum das Instrument, mit dem die Künstlerin spielt, und nur sie weiß, wie dies funktioniert, denn für ihr Instrument existiert keine Notation, ihre Performance ist rein psychophysisch, existiert allein in ihrem Kopf und ist deshalb einzigartig. Die Bedeutung der Texte entsteht erst im Moment des Aussprechens, durch Veränderungen des Rhythmus und der Klangfarbe, erst im Extremen wird manches bewusst. Und so wirkt es, als stehe jeder Satz für sich selbst und ist doch auch Teil des Ganzen. Wer alle Texte erleben möchte, sollte Zeit mitbringen, etwa eineinhalb Stunden dauert der komplette Loop. Die Intensität der Performance lässt sich aber auch in Ausschnitten erfahren.
Intensiv und divers sind auch die anderen Beiträge der Künstler*innen, die im »DENKRAUM DEUTSCHLAND« Raum finden. Sie alle haben ganz eigene Zugänge zum Ausstellungsthema. Franziska Greber setzt sich mit individuellen Gewalterfahrungen von Frauen auseinander, die die Frauen auf weiße Blusen geschrieben haben und so sonst unsichtbare Erzählungen sichtbar machen. Beate Passow, Trägerin des Gabriele-Münter-Preises, zeigt in Burkas gehüllte Barbies. Fotografin Mika Wintermayr porträtiert Frauen, die mit bipolarer Störung leben. Tira Khan blickt in einer fragilen Rauminstallation auf ihre Familiengeschichte und Judith Milberg zeigt in einer Installation großer Holztafeln malerisch amorphe Figuren, in denen sich Emotion und Verstand vereinen. Außerdem gibt es einen Beitrag der Aktionsgruppe »fair share!« zur quantitativen Beteiligung und Sichtbarkeit von Frauen in der Kunst. ||
DENKRAUM DEUTSCHLAND:FEMININ
Pinakothek der Moderne | Barer Str. 29
2. bis 10. Oktober | 12–18 Uhr, Do bis 20 Uhr
Eintritt frei (Ticket erforderlich) | Eröffnung: 2. Okt., 15 Uhr | Informationen zum Programm gibt es hier und hier
Mehr zu Ausstellungen in und um München gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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