Dominik Graf geht in »Jeder schreibt für sich allein« der Frage nach dem richtigen Leben im Falschen nach und widmet sich den »inneren Emigranten« unter den deutschen Schriftstellern.

Jeder schreibt für sich allein

Spirale ins Dunkel

jeder schreibt für sich allein

Auf den ersten Blick harmlose Lektüre aus dunkler Zeit | © Piffl Medien GmbH

Wie hätte man selbst gehandelt? Wäre man emigriert, mitgelaufen oder hätte sich tapfer dem Widerstand angeschlossen? Oder wäre man jubelnd mit Pauken und Trompeten in Richtung Untergang marschiert? Was man im Dritten Reich getan hätte, diese Frage treibt die nachgeborenen Generationen um. Aber im Großen und Ganzen hätte man natürlich alles besser gemacht. Dabei saßen auch einige große Geister zwischen allen Stühlen. Mit einigen davon, genauer gesagt Schriftstellern der »Inneren Emigration«, hat sich Anatol Regnier, Schriftsteller, Musiker und Enkel von Frank Wedekind, 2020 in seinem Buch »Jeder schreibt für sich allein« beschäftigt. Das bringt nun Dominik Graf als gleichnamigen Dokumentarfilm auf die Leinwand.

Die schwierigste Frage gleich zu Anfang: Was macht Menschen zu Monstern? Die Antwort ist denkbar einfach, aber gleichzeitig allumfassend: Sie sind eben keine Monster, sondern Menschen. Von diesem Standpunkt aus tauchen Graf und Regnier immer tiefer hinab in den Ozean des Unverständlichen. Hier spuken zwar nicht die Geister der Täter, aber die der Menschen, die es besser hätten wissen müssen. Da begegnet man Gottfried Benn, der die Nazis anfangs mit lobenden Worten begrüßt, sich dann jedoch desillusioniert und selbst verfemt ins Abseits zurückzieht. Daneben Erich Kästner, der seine eigenen Bücher in Flammen aufgehen sieht, doch keine Anstalten macht, sich irgendwie zur Wehr zu setzen. Ein Hans Fallada hingegen flieht nicht nur ins Innere, sondern gleich aufs Land und vertraut auf die Idylle. Die »gottbegnadete« Ina Seidel absolviert indessen einen Hechtsprung in den Sumpf und überschlägt sich mit Lobeshymnen an den Führer.

Über ihnen allen steht ein großes Fragezeichen. Wie konnten diese Menschen, so unterschiedlich sie auch waren, einfach unter den neuen Machthabern weitermachen, gar kollaborieren? Selbst wenn sie auf den Abschusslisten standen. Mit einem fesselnden Sturm an Bildern und vor allem den erhellenden Voiceovers aus Regniers Buch ergibt sich hier ein vielseitiges Psychogramm. Nicht nur dieser Autoren, sondern einer ganzen Generation. Die Interview-Einschübe mit Experten und Expertinnen wie Julia Voss und Christoph Stölzl hätten mitunter weniger sein können, vieles erklärt sich von selbst. Dieses Manko fällt jedoch kaum ins Gewicht. In seiner collageartigen, essayistischen Machart ist Grafs Film eine mitreißende Spirale ins Dunkel.

Doch bei allem erkennt man deutlich die Ausgewogenheit, mit der er sein Thema behandelt. Beschönigt wird hier nichts, aus der Gnade der späten Geburt heraus vorschnell verurteilt aber auch nicht. Denn wie hätten wir damals gehandelt? In den allermeisten Fällen sicher nicht so, wie wir es heute denken. Im Nachhinein kann man gut in den Zeichen jener Zeit lesen, doch jede Zeit hat eben auch ihre neuen Zeichen. Auf die Frage, wie man nun im Falschen richtig handelt, gibt der Film keine Antwort. Er zeigt jedoch, wie wichtig es ist, sich dieFrage immer wieder zu stellen – sie ist zeitlos. ||

JEDER SCHREIBT FÜR SICH ALLEIN
Deutschland, 2023 | Regie: Dominik Graf | Buch: Dominik Graf, Anatol Regnier, Constantin Lieb | Mit: Anatol Regnier, Florian Illies, Gabrielle von Arnim, Simon Strauß u. a. | 169 Minuten | Kinostart: 24. August | Website

Weitere Filmkritiken finden Sie in unserer aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren: