Karge Tour d’horizon auf weitem Feld: »Radio Free Europe. Stimmen aus München im Kalten Krieg« –eine Kabinett-Ausstellung mit vielen Denkanstössen.
Radio Free Europe
Krieg der Funkwellen
Radio Free Europe war das ideologisch wasserdichte Bollwerk der Central Intelligence Agency (CIA) gegen den Osten zu Zeiten des Kalten Krieges. Der Radiosender des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes, 1951 bis 1971 von ihm selbst finanziert, funktionierte als perfektes (Propaganda)-Medium, das allen zugänglich war und sogar den Eisernen Vorhang überwand. Im Osten schoss man mit Störsendern zurück. Vereinzelt und umso grausamer entzündeten sich daran allerdings auch heiße Stichflammen. Im Laufe der Jahre wurden einzelne Mitarbeiter ermordet. Der rumänische Geheimdienst verübte 1981 einen Bombenanschlag auf das Funkgebäude im Englischen Garten.
Gehört wurde RFE, die Älteren unter den hiesigen Nachkriegskindern erinnern sich noch, in den 1950ern ff. neben AFN und Radio Luxemburg allein wegen der tollen Musik. Was die Rundfunksprecher sagten, verstanden die meisten im Westen sowieso nicht. Moderiert und kommentiert wurde nämlich in 20 osteuropäischen Sprachen. RFE richtete sich an eine Hörerschaft im Osten, die begierig wartete auf unzensierte Nachrichten aus dem Westen und damit jegliche Kommunistenfresser-Indoktrination mitschluckte. Standort des RFE war München – strategisch günstig gelegen, weil vergleichsweise nah an der tschechischen Grenze.
Gegründet wurde RFE 1951, zwei Jahre später kam Radio Liberation, das später sogenannte Radio Liberty hinzu, das sich speziell an russische Hörerinnen und Hörer richtete. Standort war München bis 1995, als der Sender nach Prag umzog. Von dort sendet Radio Free Europe/Radio Liberty bis heute, bis zu 22 Stunden am Tag in nunmehr 28 Sprachen und hat wegen Russlands kriegerischem Überfall auf die Ukraine aktuell an politischer Relevanz und Brisanz zugelegt. Man spricht ja nicht umsonst vom Aufflammen eines neuerlichen Kalten Krieges.
Aber das Movens der Ausstellung zum Sender in Zusammenarbeit des Münchner Stadtmuseums und des Jüdischen Museums ist keineswegs im Ukraine-Krieg zu suchen. »Radio Free Europe. Stimmen aus München im Kalten Krieg« in der Galerie Einwand des Münchner Stadtmuseums und im Foyer des Jüdischen Museums ist ein Teil eines größeren, von Hannah Maischein und Jutta Fleckenstein kuratierten gemeinsamen Ausstellungs- und Sammlungsprojekts der beiden Museen. Es fokussiert die Recherche zu osteuropäischen Displaced Persons in München, überschrieben mit »Nachkriegszeit und Migration in München«. Im Gegensatz zu den Schicksalen jüdischer DPs, die spät, aber immerhin in den 1990er Jahren durch weitaus größere Ausstellungen als diese und Tagungen ins Zentrum (wissenschaftlicher) Betrachtung rückten, weiß man über die nichtjüdischen DPs aus dem Osten bisher nur wenig.
Aus den osteuropäischen DPs, deren politische Haltung als eindeutig und damit verlässlich eingeschätzt wurde, rekrutierte Radio Free Europe seine Redakteure und Techniker. In dieser Hinsicht ist die Geschichte von Oleg und Eta Tumanow sicherlich die ambivalenteste und damit spannendste der Ausstellung. Er arbeitete für Radio Liberty, wird aber gleichzeitig vom KGB als Agent angeworben. Eta zog nach. Einem kurzen Interview kann man Wesentliches über deren als luxuriös empfundenes Leben in ihrer Wohnung im relativ neu erbauten Arabellahaus erfahren. Auf der Wiese gleich neben dem Schörghuber-Edelappartementkasten allerdings hoppelten damals noch die Feldhasen.
Im Jüdischen Museum gegenüber der Galerie erwartet einen dann noch das fünfte und letzte Modul als Solitär im Foyer, das seine Gestalterin Jutta Fleckenstein eine »Liebeserklärung« nennt. Diese richtet sich an Peter Demetz, Literaturwissenschaftler, Schriftsteller, langjähriger »FAZ«-Autor, der am 22. Oktober seinen 100. Geburtstag feierte. Demetz verkörpert als ein Methusalem das höchst belesene, literarische Böhmen und damit eine Kultur, die von den Nazis zu einer sudetendeutschen und danach von den Russen zu einer einheitssozialistischen verzwergt und niedergeknüppelt wurde.
In den »Stimmen aus München« also erwandert man sich fünfLeben, welche sich in kargen Installationen darbieten: ein paar Bilder, knapp zusammengefasste Lebensdaten, dazu jeweilsein maximal siebenminütiges Video-Interview auf Knopfdruck. Die Geschichte des Ehepaars Tumanov als Doppelagenten in den frühen Achtzigerjahren ist, gemessen an den anderen Biografien, vergleichsweise dekorativ in einer Graphic Novel festgehalten. Die Kurzbiografien erzählen selektiv etwas über die sehr unterschiedlichen Herkünfte und Lebensläufe der RFE-Mitarbeiter. Ein Schautext an der Wand fasst die Geschichte von Radio Free Europe zusammen. Lakonischer geht es kaum. Der Tatsache, dass der Rundfunk ja ein Hörerlebnis ist, zollt man keinen Tribut. Dabei würde eine Klangschleife aus Originaltönen ein wenig Sinnlichkeit, einen Hauch der Atmosphäre von damals wiedergeben, zum Beispiel intoniert im melodiösen Prager Deutsch des Peter Demetz, das durchschlägt, egal in welcher Sprache er auch spricht.
Schnell ist man da trotzdem nicht durch, auch wenn die Exponate so nüchtern wie spartanisch dastehen. Man liest sich fest, vergleicht, wandert hin und her auf kleinem Raum. Was auf den ersten Blick wenig einladend aussieht, erweist sich als ein komplexes Kompendium über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren. Diese Historie zu reflektieren und einzuordnen allerdings liegt beim Betrachter. ||
RADIO FREE EUROPE. STIMMEN AUS MÜNCHEN IM KALTEN KRIEG
Münchner Stadtmuseum und Jüdisches Museum München
St. Jakobs-Platz 1 und 16 | bis 5. März 2023 | Di–So 10–18 Uhr
2023 folgen zwei weitere Ausstellungen zum Thema Displaced Persons.
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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