Zum 41. Mal versammelt das FILMSCHOOLFEST MUNICH wieder die filmischen Sichtweisen aus aller Welt in München.
FILMSCHOOLFEST MÜNCHEN 2022
Filmanfänge
Atmosphärische Schwarz-Weiß-Bilder zeigen ein junges Paar, das irgendwo im belgischen Hinterland unterwegs ist. Sie albern herum, interpretieren die Welt nach ihrem kreativen Gusto und geben sich ab und an dem erotischen Knistern hin – wenn auch nie so offen, wie sie es könnten. Auch wenn es zunächst nach einem Klischee klingt, Louis Kempeneers Kurzfilm »Ballad of the Happy Kind« ist durch und durch ein Studentenfilm. Und das ist durchaus positiv gemeint, das Jarmusch und frühen Godard atmende Werk hat diese künstlerische Freiheit und Lebenslust inne, die man wohl nur am Anfang einer Filmkarriere richtig ausleben kann. Der bittere Ernst des Lebens klopft zwar schon an die Tür, aber man kann ihn noch etwas vor der Pforte stehen lassen.
Für eine Woche kann man im November nun wieder diesen Aufbruchsgeist mitatmen. Das FILMSCHOOLFEST MUNICH gibt in seiner 41. Ausgabe wieder die Leinwand für den Film-Nachwuchs dieser Welt frei. Dieses Mal werden dem Münchner Publikum im internationalen Programm 40 Filme aus 21 Ländern präsentiert. Die Jurypräsidentschaft übernimmt dieses Jahr die ungarische Regisseurin Idilkó Enyedi, deren gefeierter Film »Körper und Seele« auf der Berlinale 2017 den goldenen Bären gewann. Weitere Jurymitglieder sind die Regisseurin Mira Fornay, Filmeditor Özcan Vardar, Journalist Quentin Lichtblau und Regisseurin Yana Sad.
Das Leben aus neuer Sicht
Wie man es erwarten darf, zeigt die diesjährige Auswahl wieder die Welt in all ihren Facetten und farblichen Abstufungen. Egal, um welches Genre es sich dabei handelt, ob Realität oder Fantastik dabei überwiegen. Erstere zeigt zum Beispiel der somalische Film »Will My Parents Come to See Me« von Regisseur Mo Harawe auf reduzierte und doch erschütternde Weise. Das Publikum begleitet einen zum Tode verurteilten jungen Mann an seinem letzten Tag. Zwar sind die großen Emotionen weitgehend zurückgefahren, doch genau das verdeutlicht die unvorstellbare Ausweglosigkeit dieser Situation.
Durchaus näher an unserer Alltagswelt ist das Schicksal der zahlreichen Boten, die hektisch an uns vorbei radeln. »Neon Phantom« (R: Leonardo Martinelli) zeigt ohne Schnörkel die Ausbeutung der Kuriere in Brasilien, bricht jedoch den Realismus mit Tanz- und Musical-Einlagen. So gibt er den Protagonisten zumindest in filmischer Form ein Stück Stärke zurück, die bei der rauen Lieferantenschinderei verloren geht. Der neue cineastische Anstrich der Welt ist aber auch im Dokumentarfilm deutlich spürbar. So nähert sich Christian León in »Uninhabited Transitional Space« dem Verfall des Menschen und seiner Umwelt in Bildern, die genauso sinnlich wie unbarmherzig sind. Stéphanie Roland gibt mit »Le Circle Vide« der Raumfahrt ihre unheimlich-anregende Mystik zurück und »We Knew How Beautiful They Were, These Islands« (R: Younès Ben Slimane) macht aus der Arbeit eines Totengräbers eine subtile Meditation über das, was vom Menschen eigentlich bleibt. In diesem speziellen Fall von Menschen, die auf der Flucht den Tod fanden.
Das Kinoprogramm von morgen
Was den Spaß beim Filmschoolfest erhöht, ist, die Kurzfilme etwas weiterzudenken. Viele darunter sind bereits mit einer solchen dramaturgischen Finesse und stilistischen Eigenheit gezeichnet, dass man sie sich auch problemlos als abendfüllenden Film vorstellen kann. Darunter ist der polnische Beitrag »Fruits and Vegetables« von Maciej Jankowski, in dem ein Jugendlicher recht dreist dafür sorgt, dass seine Mutter sich etwas gönnt. Familienangelegenheiten verhandelt auch Alica Bednáriková, die genauso humorvoll wie bitter die gespannte Beziehung der Hauptfigur zu ihrer Familie in der slowakischen Provinz aufzeigt. Überhaupt nicht witzig hingegen wird es im israelischen Film »Adane and Yaleo« (R: Oz Zirlin), der eine nächtliche Polizeikontrolle zum schwer auszuhaltenden Anziehen der Spannungsschraube macht.
Um sich davon erst mal zu erholen, hilft es, sich in einen der vielen Animationsfilme fallen zu lassen. Unbedingt hervorzuheben ist der gerade mit dem Studentenoscar ausgezeichnete Stop-Motion-Trip »An Ostrich Told Me the World is Fake and I Believe It« (Regie: Lachlan Pendragon), dessen Titel schon mehr als selbsterklärend ist. Zudem erklärt einem Andrea Guizar in »Toothless« mithilfe von Cut-Out-Animation alles über Zähne und was man nie damit assoziiert hat, und wer Axolotl mag (das dürfte gefühlt jeder Mensch der Welt sein), kommt bei Jonatan Schwenks »Zoon« auf seine Kosten. Natürlich kann man wie in jedem Jahr nur eine grobe Anleitung für das Filmschoolfest geben. Das Entdecken muss schon jeder für sich selbst übernehmen. Aber umso schöner ist es doch, sich auf eigene Faust überraschen zu lassen. Und in ein paar Jahren, wenn einige der hier vertretenen Namen bekannter sind, kann man sagen, man sei schon von Anfang an dabei gewesen. ||
FILMSCHOOLFEST MUNICH
Hochschule für Fernsehen und Film | 13. bis 19. November
Vollständiges Programm
Weitere Filmartikel gibt es in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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