Für den Filmemacher Erec Brehmer bricht eine Welt zusammen, als seine Lebensgefährtin Angelina Zeidler bei einem Verkehrsunfall stirbt. Sein Dokumentarfilm »Wer wir gewesen sein werden« ist nicht nur eine Hommage an seine Freundin, sondern zeigt, wie kreativ Trauerarbeit sein kann.
Wer wir gewesen sein werden
»Der Tod ist nicht das Ende der Liebe«
Mit seinem Dokumentarfilm »Wer wir gewesen sein werden« erzählt Erec Brehmer, Absolvent der Münchner Filmhochschule, eine tief berührende Liebesgeschichte zwischen ihm und seiner tödlich verunglückten Freundin Angelina Zeidler. Thomas Lassonczyk hat ihn getroffen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über Ihre Freundin Angi, die bei einem gemeinsamen Verkehrsunfall gestorben ist, zu machen?
Als Filmemacher bedeutet Film meine Auseinandersetzung mit den Dingen, die mich beschäftigen. Und so habe ich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zunächst damit begonnen, das gesamte Material, das ich von uns aufgenommen, aber nie gesichtet hatte, überhaupt einmal anzuschauen. Das war meine Art, mit Angi Kontakt aufzunehmen: in dieser leeren Wohnung zu sitzen, ihre Stimme zu hören und sie noch einmal zu sehen.
Und wie ging es dann weiter mit dem Projekt »Wer wir gewesen sein werden«?
Als ich dann die ersten Sequenzen zusammengeschnitten habe, habe ich schnell gespürt: Da passiert etwas, das du nicht kennst, und das möchtest du als Film dokumentieren. So wurde das Projekt zu meiner Art von therapeutischer Beschäftigung. Der Prozess des Films hat mir also dabei geholfen, am Ende zu sagen: Ich akzeptiere, was passiert ist, und zwinge dem jetzt dieses sinnstiftende Narrativ auf. Das zu glauben, war natürlich illusorisch. Denn Geschichten erzählen ist ja nichts anderes als der Versuch, dem großen Chaos mit all den hundert Dingen, die parallel passieren, einen Sinn zu verleihen. Gleichzeitig ist es aber auch wunderschön, dass der Mensch überhaupt in der Lage ist, dies zu tun.
Was hat Sie letztlich dazu ermutigt, einen Film mit einer derartig hochsensiblen Thematik zu realisieren?
2019 habe ich auf dem Zürich Film Festival Teilnehmern des dortigen Talentförderprogramms ein paar Ausschnitte aus dem Film gezeigt. Da habe ich schnell registriert: Alle sind sehr ergriffen, alle öffnen sich. Sofort entstand ein großer Dialog. Und der Tenor der Kollegen war: »Das ist durchaus ein Film. Arbeite weiter daran.« Da war mir klar, dass das Projekt eben kein Heimvideo ist, das ich nur für mich gemacht habe, sondern etwas, das für andere Menschen Relevanz hat. Später habe ich den Film vielen Betroffenen gezeigt, auch aus meiner Trauergruppe, und diese haben mir ebenfalls bestätigt, dass »Wer wir gewesen sein werden« Menschen helfen kann, sich weniger allein zu fühlen.
In Ihrem Film konzentrieren Sie sich ausschließlich auf Angi, sich selbst und auf Ihre gemeinsame Beziehung. Warum?
Ich habe tatsächlich überlegt, mit der Mutter und Angis Freunden zu sprechen, um herauszufinden, was Angi alles war. Aber wenn man einmal dieses Fass öffnet … Wo fängt man dann an? Wo hört man auf? Zudem ist es naiv zu glauben, herausfinden zu können, wer dieser Mensch wirklich war. Ich kann nur sagen, wer dieser Mensch für mich war. Deshalb habe ich versucht, den Blickwinkel des Films radikal auf mich zu konzentrieren. Wer war Angi für mich? Wie hat sich meine Welt verändert? Davon kann ich erzählen. Zugleich hat mir dies auch die Möglichkeit eröffnet, den Blick nach vorne zu richten.
»Wer wir gewesen sein werden« wird leitmotivisch von einem Schmetterling, der immer wieder in Großaufnahmen zu sehen ist, begleitet. Haben Sie dieses Material nachgedreht?
Nein. Diese Bilder entstanden beim gemeinsamen Besuch einer Schmetterlingsausstellung. Ich hatte meine neue Zeitlupenkamera dabei und war so fasziniert davon, was man damit alles sehen kann. Außerdem waren Schmetterlinge Angis Lieblingstiere. Sobald sie einen gesehen hat, hat sich ihre Miene aufgehellt. Für mich ist daraus ein schönes Bild von der Vergänglichkeit von Zeit und diesen kleinen Momenten geworden: Schmetterlinge, die zwei, drei Tage gemeinsam durchs Sonnenlicht segeln, und dann war es das auch schon wieder mit ihrer Existenz. Da steckte für mich auch die große Frage dahinter: Wie betrachte ich mein eigenes Leben und was ist eigentlich fundamental?
Ihre zutiefst berührende, offene und ehrliche Dokumentation kann auch als großer Liebesfilm gelesen werden.
Schön, dass Sie das sagen. Auch ich sehe den Film ähnlich, als Liebesgeschichte über den Tod hinaus. Und die wichtigste Botschaft ist, dass der Tod die Liebe zu einem Menschen nicht beenden muss. Ich selbst hätte mir einen Film wie diesen gewünscht, als ich damals im Krankenhaus lag und mich gefragt habe, was damals auf mich zukommt. Aber es gab ihn nicht. Ich glaube, dass mein Film eine kleine Farbe, ein kleiner Beitrag zu diesem großen Thema sein kann, zu dem es schon so viel gibt, aber bei dem trotzdem niemand weiß, wie man damit umgehen soll.
Wie geht es nun weiter? Was sind Ihre Pläne als Filmemacher?
Neben einigen Dokumentarfilmen, an denen ich gerade arbeite, habe ich einen szenischen Filmstoff mit dem Titel »Das Leichte und das Schwere« im Rahmen eines Stipendiums entwickelt. Er handelt von zwei Menschen, die ihren Partner verloren haben und deren Leben durch das Schicksal eng miteinander verknüpft werden. Es geht um Schuld und darum, eine Liebe nicht aufgeben zu müssen. Im Grunde genommen kann man das Projekt als eine Art Fortsetzung von »Wer wir gewesen sein werden« betrachten, denn hier geht es vornehmlich um das neue Verlieben.
Was würden Sie einem Menschen empfehlen, der Ähnliches erlebt hat wie Sie und Hilfe sucht?
Die Nicolaidis YoungWings Stiftung, für die ich inzwischen selbst ehrenamtlich tätig bin. Sie richtet sich direkt an junge Trauernde. Dort gibt es auch spezielle Gruppen, zum Beispiel für 30-Jährige, die ihren Partner verloren haben. Hier habe ich gelernt, dass ich nicht allein bin und dass es – so individuell Trauer auch sein mag – doch durchaus viele Parallelen und Ähnlichkeiten gibt. ||
WER WIR GEWESEN SEIN WERDEN
Deutschland, 2022 | Regie: Erec Brehmer
Mit: Erec Brehmer und Angelina Zeidler
81 Minuten | Kinostart: 14. Juli
Website
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