Das Filmfest München kehrt in alter Form zurück! Mit kleinen Änderungen zwar, doch mit einigen interessanten Programmpunkten. Hier ein erster Einblick.
Filmfest München 2022
Cineastischer Sommer
Nach zwei Jahren pandemischen Alternativprogramms darf das Filmfest München nun wieder in altgewohnter Manier die Stadt mit Filmgut bespielen. Ganz so wie früher ist es dann allerdings doch nicht. Schließlich fällt mit dem geschlossenen Gasteig nicht nur eine wichtige Spielstätte, sondern auch das Festivalzentrum weg. Ersatz hat man jedoch schon gefunden, der diesjährige Dreh- und Angelpunkt des Festivals zieht ins Amerikahaus am Karolinenplatz. Und die Eröffnung findet in der Isarphilharmonie HP8 statt, einem »Industriedenkmal mit toller Atmosphäre«, wie es Direktorin Diana Iljine in der Pressemitteilung beschreibt. Ansonsten kehrt man direkt zurück ins bekannte Feeling, mit 120 Filmen aus aller Welt und Austauschmöglichkeiten für Filmbegeisterte und -schaffende. Auch die 2021 ins Leben gerufene Beergarden Convention findet wieder statt, als weiß-blau gefärbte Begegnungsstätte für die Filmindustrie.
Der Drang nach Freiheit
Mit dem Eröffnungsfilm hat man sich gleich ein Highlight der Filmfestspiele von Cannes ins Boot geholt, das dort am 20. Mai seine Weltpremiere feierte: »Corsage« von Marie Kreutzer (»Was wir wollen«, »Der Boden unter den Füßen«). Hier wird nichts anderes erzählt als die Geschichte der Kaiserin Elisabeth von Österreich (Vicky Krieps), jedoch gereinigt vom Zuckerguss der bekannten Filmreihe mit Romy Schneider. »Sisi« wird gezeigt als eine Gefangene der aristokratischen Etikette, eingekeilt zwischen Fremdbestimmung und Selbstzerstörung. Doch der Zuschauer wird auch Zeuge ihres Widerstands, ihres Willens zum Leben, womit sie durchaus als historisch-prominentes Beispiel weiblicher Emanzipation gelten darf. Wie gut das umgesetzt ist, wird man sehen, doch mit »Corsage« als diesjährigem Start hat das Filmfest eine vielversprechende Wahl bewiesen. Stellt man an ihm doch einen roten Faden fest, der sich durch das Programm zieht.
Weltflucht, Auflehnung, Selbstfindung und Erkenntnisdrang sind Themen, die auch die Reihe »Neues Deutsches Kino« in diesem Jahr deutlich prägen. Mit »Gott ist ein Käfer« von Felix Herrmann und Marina Hufnagels »Solastalgia« sind auch zwei Absolventen der HFF mit von der Partie. In letzterem geht es um den David-gegen-Goliath-Kampf der jungen Generation gegen den Klimawandel, in ersterem um die Suche nach Gott in einer Welt, in der man selbst nicht weiß, wo man hin will. Und selbst wenn der Weg anscheinend vorgegeben ist, die Protagonistinnen in »Alle wollen geliebt werden« (R: Katharina Woll) und »Mutter« (R: Carolin Schmitz) sind mit der Route alles andere als zufrieden. Das ist auch Jeanne (Jana McKinnon) in Christopher Roths »Servus Papa, See You in Hell«, die sich gegen die wüsten Regeln einer pseudoprogressiven Sekte auflehnt, deren Vorbild sehr deutlich die Kommune des berüchtigten Künstlers Otto Mühl ist. Ein anderes tragisches Beispiel einer erzwungenen Kostümierung vermittelt Kultregisseur Rosa von Praunheim in seinem Rex-GildoBiopic. In der von ihm gewohnten Weise zeigt er, wie die harten Regeln der Schlagerbranche einen ihrer größten Stars schließlich in den Tod trieben. Claudia Müller hingegen beleuchtet die Karriere von Elfriede Jelinek, einer Literaturrebellin, die sich nie den Mund verbieten ließ. Daneben stehen aber auch schwer einzuordnende Werke, wie Timo Müllers »Der rote Berg«, auf der Website als »unmöglicher Film, der doch existiert« beschrieben. Wie das aussehen soll? Um das herauszufinden, hilft nur der Kinobesuch.
Von Kampf und Trauma
Auf der Leinwand haben wie jedes Jahr auch Produktionen Platz, die für das heimische Wohnzimmer produziert wurden. Die Reihe »Neues Deutsches Fernsehen« versammelt 2022 jedoch nicht nur Filme, sondern auch Serien (bzw. deren erste Folgen) in den Lichtspielhäusern. Da begegnet man korrupten Machtspielern (»King of Stonks«, Regie: Jan Boony; »Das Netz – Ein Wintermärchen«, Regie: Rick Ostermann) und toxischen Strippenziehern (»Der Spalter«, Regie: Susanna Salonen), aber auch wieder Kämpferinnen (»Für Jojo«, Regie: Barbara Ott; »So laut du kannst«, Regie: Esther Bialas) und Freundschaftsbünden (»Damaged Goods«, Regie: Anna-Katharina Maier; »Das Haus der Träume, Regie: Sherry Hormann, Umut Da). Zudem wird in den Beiträgen »Ramstein – Das durchstoßene Herz« von Kai Wessel und in Philipp Kadelbachs »Munich Games« die persönliche Verarbeitung kollektiver Traumata behandelt. Zweiterer ist im großen Münchner Olympiajahr 2022 sicher ein näheres Hinschauen wert.
Der erste Blick ins Programm verspricht also ein Filmfest in altbewährter Manier. Auch was die dritte Kooperation mit dem Museum Brandhorst angeht, die in diesem Jahr das monströse Thema Body Horror mit den Filmen »A Banquet« (Regie: Ruth Paxton), »Dual« (Regie: Riley Stearns) und »Watcher« (Regie: Chloe Okuno), sowie die Ausstellung »Licking My Wounds« von Charlie Fox in den Fokus rückt. Bei allem Münchnerischen, das die Veranstalter gern hervorheben, geht es also trotzdem mitunter in ganz andere Sphären. Oder eben ungebremst in die Realität. Wie auch immer, in diesem Sommer herrschen endlich wieder cineastische Temperaturen in der Stadt. ||
FILMFEST MÜNCHEN
23. Juni bis 2. Juli | Weitere Programminformationen ab 9. Juni
Weitere Film-Texte finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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