In seinem aktuellen Spielfilm interpretiert Christian Petzold den Undine-Mythos neu. Jetzt spricht der Regisseur über Kinosehnsucht und Corona, über Hitchcock und James Bond, und über klares, uneitles Filmemachen.

Undine: »Männer leben, Frauen überleben«

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Christian Petzold | © Marco Krüger

Hier finden Sie den ersten Teil des Interviews

Leider ist die Kinokultur in München längst nicht so ausgeprägt wie in Berlin.
Ich habe in München drei »Polizeirufe« gedreht und in dieser Zeit hier gewohnt. Und es sind tatsächlich viele Kinos, die ich in den 1970er Jahren schätzen gelernt habe, verschwunden. Aber die Stadt selbst besitzt eine große Kinosehnsucht, die langsam wieder erfüllt wird.

Nun zu Ihrem neuen Film: Warum ausgerechnet Undine, über die bereits so viel geschrieben, die schon so oft adaptiert wurde?
Als ich mit 21 als Soziologie- und Germanistikstudent nach Berlin gekommen bin, hieß meine erste Vorlesung »Die Kunst der Epigonen« von Dietmar Kamper. Und der sagte: In der Kunst gibt es immer die Avantgarde, die vorausgeht, und die Epigonen, die die ausgetretenen Pfade entlanggehen und dort noch Dinge finden, die die Avantgarde liegen gelassen hat. Das gilt auch für das Kino: das marschiert nicht vorneweg, sondern guckt, was liegen geblieben ist. Für mich betrachtet Kino die Mythen, die ausgelutscht und vielleicht ausgeträumt sind, noch einmal anders, von einem anderen Standpunkt. Und das hat mich an Undine gereizt.

Sie vollziehen bei Ihrer Adaption einen Perspektivenwechsel, Undine ist nicht von Männern begehrtes Objekt, sondern eine starke selbstbewusste Frau, die ihrem Schicksal, das sich in dem Satz »Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten« manifestiert, entrinnen will. Doch bei Ihnen lässt sich Undine unendlich viel Zeit, bis sie wirklich zuschlägt.
Ja, die Todesgefahr schwebt über der ganzen Geschichte, so leicht sie auch daherkommt.

Das erinnert an den legendären Suspense eines Alfred Hitchcock.
Da kann ich machen, was ich will. Ich bin Hitchcockianer durch und durch. Ich versuche mich immer wieder zu befreien, aber es gelingt mir nicht. Ich glaube, ich lese alle drei Jahre das Interview, das François Truffaut mit Hitchcock geführt hat.

Apropos François Truffaut: Auch ihn kann man in »Undine« entdecken, der ja eine klassische Amour fou in der Tradition von »Die Frau nebenan« erzählt.
»Die Frau nebenan« ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Wenn ich ab und an Seminare gebe, beginne ich immer mit diesem Film, weil man hier alles lernen kann. Auch Kameramänner sollten sich dieses Werk einmal im Jahr ansehen, denn William Lubtchansky leistet hinter der Kamera fantastische Arbeit. Das ist einfach uneitles, klares, tolles Filmen.

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Die Todesgefahr schwebt über der Geschichte, so leicht sie auch daherkommen mag. Paula Beer und Franz Rogowski in »Undine«. | © Schramm Film

Sie haben in »Undine« für Ihre Verhältnisse sehr viel digitale Tricktechnik und Spezialeffekte eingesetzt, da ein großer Teil der Handlung im und unter Wasser angesiedelt ist.
Ich war schon als kleines Kind von Unterwasseraufnahmen begeistert. Den Tauchszenen bei James Bond beispielsweise konnte ich stundenlang zusehen. Das hängt damit zusammen, dass man keine klassischen Dialoge hat. Diese entstehen stattdessen durch Atmungsgeräusche, die Sauerstoffflasche, das Blubbern der Sauerstoffblasen. Hektisches Atmen, sanft Ausatmen, Blicke – dadurch entsteht eine visuelle wie akustische Schönheit, die sehr physisch ist. Und so etwas wollte ich unbedingt einmal in meinem Leben machen.

Etwas, das Sie in Ihrem Berufsleben schon des Öfteren bewiesen haben, ist Ihr Händchen für weibliche Hauptrollen. Woher rührt das?
Das hängt mit einem Satz zusammen, den ich einmal von Claude Chabrol gelesen habe: Männer leben, Frauen überleben. Wenn ich mir eine Frau vorstelle, wird der Film nicht biografisch, weil ich ja selbst keine Frau bin. Aber ich kann, so ähnlich wie ich den Undine-Mythos neu betrachte, auchdadurch die Welt anders betrachten, wenn eine Frau die Protagonistin ist. Ich kann mich mit ihr zwar nicht identifizieren,
aber mich zu ihr in ein Verhältnis setzen. Für mich ist es interessanter, die Welt so zu betrachten. Und mit den Frauenfiguren, die Nina Hoss oder jetzt auch Paula Beer spielen, kann ich die Welt noch einmal anders betreten.

»Undine« ist als Auftakt einer Trilogie konzipiert. Wie geht es danach weiter?
Ich arbeite nach dem Wasser gerade an dem zweiten Element, dem Feuer. Das Drehbuch ist fast fertig. Als ich wegen Corona in einer Art Halbkoma lag, hatte ich damit begonnen, an einer leichten Liebesgeschichte zu schreiben, die eben der zweite Teil der Trilogie werden soll. Das Schönste an Corona war es letztlich, dass diese ganzen Fieberträume von damals zu vielen neuen Ideen geführt haben. ||

UNDINE
Deutschland, Frankreich 2020 | Buch & Regie: Christian Petzold
Mit: Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree
Länge: 90 Minuten | Kinostart: 2. Juli

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