Einst wurde er als vielversprechendes deutsches Regietalent gefeiert. Doch nach dem autobiografischem »Sommersturm«, der Bestselleradaption »Krabat« und dem Hollywooddebüt »Trade« war erst mal Schluss. Jetzt meldet sich Marco Kreuzpaintner mit »Der Fall Collini« eindrucksvoll zurück.
Nach zwei Ausflügen ins Komödienfach mit »Coming In« (2014) und »StadtLandLiebe« (2016) knüpft Marco Kreuzpaintner an jene Werke an, die ihn zu Beginn seiner Karriere ausgezeichnet hatten: einfühlsam erzählte Geschichten wie in »Sommersturm« oder emotional bewegende Literaturadaptionen wie »Krabat«. Sein neuer Film »Der Fall Collini« basiert auf dem gleichnamigen Bestsellerroman von Ferdinand von Schirach und handelt von einem jungen Anwalt, der gleich bei seinem ersten Fall als Pflichtverteidiger auf ein abscheuliches Naziverbrechen stößt.
Der Grund, warum der aus Rosenheim stammende Regisseur diesen Stoff realisieren wollte, war, »weil es zu dem Thema Dreher-Gesetze bis jetzt noch nichts gab. Ich glaube, dass es weiten Teilen unserer Gesellschaft unbekannt ist, dass eine große Anzahl von Naziverbrechern durch ein Gesetz, das der Deutsche Bundestag verabschiedet hat, davongekommen ist. Und als mir diese Unglaublichkeit durch den Roman von Ferdinand von Schirach präsentiert wurde, dachte ich mir, dass man darüber auf alle Fälle etwas machen muss. Außerdem finde ich das Thema im besten Sinne des Wortes moralisch. Und solche Geschichten finden heutzutage im Kino eigentlich gar nicht mehr statt.«
»Der Fall Collini« zählt zu dem Subgenre Gerichtssaaldrama, das eigentlich den US-Amerikanern vorbehalten ist. Man denke nur an Sidney Lumets »Die zwölf Geschworenen«, Alan J. Pakulas »Die Akte« oder Francis Ford Coppolas »Der Regenmacher«. Doch Kreuzpaintner hält dagegen: »Billy Wilder zählt man ja fälschlicherweise auch zu den Amerikanern. Aber er hat als Österreicher mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle ›Zeugin der Anklage‹ realisiert, und das ist jetzt nicht so weit weg von unserem Film. Im Übrigen sind die Fälle, die bei uns verhandelt werden, nicht gerade die hochemotionalsten. Aber hier handelt es sich ja um eine Romanverfilmung, in der das Thema Dreher auch fiktional hochdramatisch aufgearbeitet wird.«
Apropos: Drama. Die Hauptrolle des Anwalts Caspar verkörpert ausgerechnet Elyas M’Barek, der bis dato seine größten Erfolge im federleichten Komödienfach feiern konnte, siehe »Türkisch für Anfänger«, siehe »Männerhort«, siehe die »Fack Ju Göhte«-Trilogie. Doch mit dem Wagnis, einen Darsteller gegen den Strich zu besetzen, kann der Regisseur, der am 11. März seinen 42. Geburtstag feierte, sehr gut leben: »Es ist doch das Tollste, wenn man Menschen in Bereichen sieht, in denen man sie bisher noch nicht gekannt hat. Dieses Schubladendenken müsste man doch eigentlich aufbrechen. Aber darin sind wir in Deutschland nicht gerade die Könige. Von daher war ich von der Aufgabe begeistert, sich mit jemandem, der bisher mehr im Komödienfach unterwegs war, auf unbekanntes Terrain zu begeben. Und ich hoffe sehr, dass Elias auch von der Presse für das gewürdigt wird, was er hier geleistet hat. Denn er ist nicht nur hochprofessionell, sondern auch wahnsinnig schlau und hochtalentiert.«
Kreuzpaintner studierte in Salzburg zunächst Kunstgeschichte, doch das war mehr ein Alibi, parallel dazu realisierte er schon Kurzfilme, um 2002 dann mit »Ganz und gar« seinen ersten abendfüllenden Spielfilm zu drehen. »An dieser Stelle muss man auch einmal sagen, dass es Viola Jäger und Molly von Fürstenberg von Olga Film waren, die mir die Chance für meinen ersten Kinofilm gegeben haben. Denn Kurzfilme sind das eine, aber das Risiko zu übernehmen und jemandem die Regie für ein Feature-Filmdebüt zu geben, ist noch einmal etwas völlig was anderes.« In seinen Lehrjahren traf er auf Filmemacher wie Peter Lilienthal oder Edgar Reitz. Ihnen durfte er als Assistent über die Schulter schauen. Dabei kam Kreuzpaintner auch indirekt mit Stanley Kubrick in Berührung. Vom britischen Meisterregisseur kursiert die Anekdote, dass dieser im Vorfeld eines Filmstarts die Kinos in Deutschland höchstpersönlich auf deren technische Tauglichkeit getestet habe: »Davon weiß ich nichts, aber ich kann es mir gut vorstellen, nachdem er ja auch bei der Auswahl der Regisseure, die seine Synchronfassungen machen durften, wie zum Beispiel Edgar Reitz bei ›Eyes Wide Shut‹, sehr penibel war.«
Kreuzpaintner, der selbst am Set ganz genau weiß, was er haben will, aber sonst genau das Gegenteil von penibel ist, setzte 2008 Otfried Preußlers Kultroman »Krabat« um. Danach folgte eine ungewöhnlich lange, sechs Jahre währende künstlerische Pause. Das hatte damit zu tun, dass »Krabat« »ziemlich über Budget gegangen ist. Und das hat man mir damals ungerechterweise in die Schuhe geschoben. Die Tatsache, dass er 2008 einer der erfolgreichsten deutschen Filme des Jahres war, war dann für die andere Waagschale nicht genug, um das auszugleichen.« Ein Jahr davor hatte der hochtalentierte Regisseur noch sein US-Debüt mit »Trade – Willkommen in Amerika« inszeniert und schien auf dem besten Wege, internationale Karriere zu machen: »Ich bin mit 27 nach Amerika, habe dort ›Trade‹gedreht, wurde von Roland Emmerich, der immer noch einer meiner besten Freunde ist, protegiert … Das sind Dinge, für die du hierzulande nicht unbedingt gefeiert wirst. Das ruft Neider, Gegenkräfte hervor. Daraufhin musste ich mich komplett neu erfinden.« Das ist Kreuzpaintner inzwischen auf ganzer Linie gelungen. Längst macht er nicht nur Kino und Fernsehen, er probiert sich auch auf anderen Plattformen aus, zuletzt mit der in Berlin angesiedelten Amazon-Krimiserie »Beat«.
Dazu meint er abschließend: »Das war ein absolutes Wunschprojekt. Ob Kino oder Fernsehen, letzten Endes ist mir das Format total egal. Die Frage ist doch: Kann man etwas realisieren, was bisher noch nie oder schon lange nicht mehr gemacht wurde? Und fordert es mich heraus? Und das war sowohl bei ›Beat‹als auch bei ›Der Fall Collini‹ der Fall.« ||
DER FALL COLLINI
Deutschland 2019 | Regie: Marco Kreuzpaintner
Mit: Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach | Kinostart: 18. April
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