Das Ismaninger Kallmann-Museum zeigt die Ausstellung »Nocturnal Eden« mit Werken von Yvonne Roeb, der ersten Trägerin des Kallmann-Preises. Dazu eine Werkschau von Hans Jürgen Kallmann zu den Themen Porträt, Landschaft, Tier.

Hans Jürgen Kallmann: »Angreifender Pavian«| 1967 | Tempera, Pastell | © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Schaurig-schöne Mischwesen auf der einen und expressive Gemälde auf der anderen Seite des Ismaninger Kallmann-Museums haben auf den ersten Blick nicht viele Gemeinsamkeiten. Die faszinierenden Skulpturen und Collagen stammen von Yvonne Roeb, die in Berlin und Düsseldorf lebt und arbeitet und 1976 in Frankfurt geboren wurde. Die Bilder malte der 1908 in der heute polnischen Provinz Posen geborene Künstler Hans Jürgen Kallmann, der von 1952 bis zu seinem Tod 1991 in Pullach lebte. Kallmann hatte in Berlin 1930 kurz bei Emil Orlik studiert und wurde von Max Slevogt gefördert. Während des NS-Regimes wurde er in der Ausstellung »Entartete Kunst« diffamiert und später mit einem Ausstellungsverbot belegt und verlor sein Œuvre im Bombenkrieg.

Berühmt wurde er seit den 50er Jahren mit seinen psychologisch einfühlsamen Porträts von großen Namen wie Adenauer und Heuss, Mao und Strauß, Papst Johannes XXIII., Ernst Bloch und Bert Brecht. Yvonne Roeb, die bei Timm Ulrichs studierte und Meisterschülerin von Katharina Fritsch war, fällt in der zeitgenössischen Kunstszene mit ihren irritierenden Skulpturen voller sich widersprechender und zugleich ergänzender Assoziationen auf. Ihre ästhetisch immer beeindruckenden Plastiken changieren zwischen Menschen-, Pflanzen- und Tierwelt, zwischen Realität und Horrorfilm oder Gruselkabinett. Ihre Motive findet Roeb, die seltener auch zweidimensional und als Filmerin aktiv ist, fast überall – in der Mythologie, der Naturkunde, der Kulturgeschichte, der Medienwelt. Ihre Schöpfungen erinnern an Bekanntes, an Archetypisches; die bewusste Verfremdung sorgt für Irritation. So wird der Betrachter einerseits angezogen, andererseits zurückgewiesen.

Die gewählten Titel verstärken das zusätzlich. So zeigt »Helix« eine freilich aus Polyester geschaffene Schlangenhaut, aus der sich ein aus Pferdehaar geflochtener Zopf herauswindet. Irgendwie unappetitlich. Und ein »Hominid«, der sich aus einem diffusen, dunklen, schlackeähnlichen Sockelhaufen als Büste nach oben herausarbeitet, besitzt eine Art Hundeschädel mit tief eingefallenen Augenhöhlen. Auch nicht wirklich knuddelig.Nun erhielt Roeb den erstmals von der Professor-Hans-Jürgen-Kallmann-Stiftung vergebenen Kallmann-Preis, der mit 500 Euro Preisgeld sowie einer Ausstellung und einem Katalog (im Wert von 7500 Euro) verbunden ist. Es gab 300 Bewerbungen für diese Auszeichnung, die besonderen künstlerischen Leistungen in den Themenbereichen Porträt, Tier, Landschaft gewidmet ist – den Schwerpunkten in Kallmanns Schaffen. So treffen die beiden in Ismaning nun aufeinander. Denn die stiftungsmäßig vorgeschriebene jährliche Kallmann-Schau wurde mit der Preisträgerschau kombiniert.

Kallmann, dessen Pferde-, Affen-, Raubtier- oder Vogelbilder ausdrucksstark sind und immer quicklebendig bis aggressiv, mit aufgerissenem Maul, hat zu Tieren ein enges Verhältnis. Seine »Hyäne in der Nacht« brachte ihm die Verfemung in der NS-Zeit ein. Angegebener Grund: Eine »rassisch minderwertige« Tierart wurde zum »wichtigsten Bildthema«. Da muss man erst mal drauf kommen. Jahrzehnte später betitelte der mit Humor gesegnete Künstler seine im List-Verlag erschienene Autobiografie mit »Der unverwundbare Stier« – natürlich sein Sternzeichen. Auch Eulen und Uhus malte und mochte er, denn er war ein Nachtmensch und etwas melancholisch.

»Hominid«| 2015
PU-Schaum, Bronzebeschichtung, Patina, Pigmente | 110 x 95 x 65 cm | © Yvonne Roeb, Foto: Ivo Faber

Roeb dagegen packt an. In einem verregneten Sommer bläst sie nicht Trübsal, sondern dreht einfach den Doors-Song »Waiting for the Sun« lauter. Ihre Skulpturen macht Roeb – von Ausnahmen mal abgesehen – ausschließlich selber, Bildhauerei der Marke Old School. An dem riesigen Teppich mit aufwendig von Hand gestickten und eingewobenen Schlangen – er besetzt einen großen Ausstellungsraum – arbeitete sie freilich mit fünf Helfern vier Wochen lang.

Die anderen gezeigten Werke sind eher mittel- bis kleinformatig. Und in unterschiedlichen Materialien gearbeitet. Roeb benutzt Acrylharz, Bauschaum, Wachs, Gips, Silicon, aber auch natürliche Stoffe
wie Pferdehaar. Gerne verfremdet sie diese Ursprungsmaterialien anschließend, in dem sie Oberflächen patiniert, vergoldet, bearbeitet – irgendwie übertüncht. Das bringt Spannung, weckt Neugierde und unterstreicht freilich auch die den Objekten innewohnende Zweideutigkeit. Am liebsten würde man die Exponate anfassen, um den Werkstoff zu prüfen. Unerwünscht! Streng untersagt! Klar, mitunter nimmt die Künstlerin dosenfertigen Polyurethan-Hartschaum aus dem Baumarkt, der ja schon mit leichtem Fingerdruck aus der Façon zu bringen ist. Das sieht man aber nicht, sondern glaubt, einem massiven Bronzeguss gegenüberzustehen. Keramik wird auch mal lackiert, statt glasiert und gebrannt. Acrylharz erhält – etwa beim »Quallenmann« – eine Kupferpatinierung und eine Lackierung.

Yvonne Roeb: »Alter Ego«| 2015 PU-Schaum, Bronzebeschichtung, Patina 48,5 x 34 x 84 cm

Dabei versucht Roeb, die Oberfläche möglichst natürlich aussehen zu lassen. Was freilich von den Tentakeln eines Tintenfischs, die dem kleinen Mann aus dem sonderbar geformten (Tier-)Kopf hinten rauswachsen, wieder konterkariert wird. Auch dies ein immer wiederkehrendes Spiel: Roeb kombiniert zwei kontrastierende, beim Betrachter hervorgerufene Gefühlsaggregate – hier: sympathisch und eklig – in einem Objekt. Das Prinzip von Roebs Schaffen: die Gleichzeitigkeit sich widersprechender oder nicht zusammenpassender Materialien, Formen, Aussagen, Stimmungen. Das sorgt für surreale Wirkung. So fragt man sich manchmal auch, ob es sich nicht doch um naturwissenschaftliche Präparate, archäologische Fossilien, traditionelle Kultgegenstände handelt. Die Stücke bleiben rätselhaft – und könnten auch unseren Fantasien, Ängsten oder Träumen entsprungen sein. Aber vielleicht ist es auch einfacher. Vielleicht sagt uns die Künstlerin ja nur, dass sich in allen Lebewesen Gegensätzliches vereint. Etwa das Gute und das Böse, das Göttliche und das Diabolische. Fast schon religiös.||

YVONNE ROEB – NOCTURNAL EDEN
HANS JÜRGEN KALLMANN – PORTRÄT. LANDSCHAFT. TIER.
Kallmann-Museum Ismaning| Schloßstr. 3b, 85737 Ismaning | bis 10. Februar| Di bis So 14.30–17 Uhr | Führungen: 10. Feb., 15 Uhr; 22. Jan., 18.30 Uhr | Künstlergespräch Yvonne Roeb und Direktor Rasmus Kleine: 27. Jan.,19.15 Uhr | Kuratorenführung mit Kaffee und Kuchen: 29. Jan.,15 Uhr | Das Katalogheft (56 Seiten) kostet 4 Euro | Weitere Termine und Jazzkonzerte

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