Mit ihrem Engagement für konstruktive Kunst und lyrische Abstraktion ist die Galeristin Gudrun Spielvogel seit 30 Jahren eine Münchner Institution. Ein Gespräch.
Gudrun Spielvogel
Die Perlentaucherin
Fast hätte sie den 30-jährigen Gründungstag ihrer Galerie übersehen, hätte nicht ihr Mann sie mit seiner Gratulation am 1. Juni darauf aufmerksam gemacht. Es ist typisch für Gudrun Spielvogel, dass sie die Frage nach der Jubiläumsfeier erst mal mit einer heiteren Anekdote beantwortet. Wer sie kennt, weiß aber, dass sie bei aller Bescheidenheit ein wohl geplantes, gut durchdachtes Programm zum Jubiläumsjahr in der Schublade hat.
Es ist auch typisch für Gudrun Spielvogel, dass sie bei einem solchen Ereignis weniger an sich denkt als an ihre Künstler und Künstlerinnen, die sie über lange Jahre, nein Jahrzehnte, begleitet, gefördert und vermittelt hat. Mit ihrem klar umrissenen Galerieprofil, das auf konkrete, konstruktive und lyrisch-abstrakte Kunst nach 1945 spezialisiert ist, hat sie sich immer fern von Moden, Trends und Tendenzen gehalten. Mit einer Mischung aus profunder Kennerschaft, leidenschaftlichem Engagement, charmanter Erscheinung und jugendlichem Schwung gelingt es ihr, diese sehr ästhetische, aber eher strenge und anspruchsvolle Kost zu vermitteln: eine Galeristin »alter Schule«, im allerbesten Sinne.
Beim Gespräch am Glastisch mit Blick auf die Maximilianstraße, umgeben von den Werken ihrer Künstlerinnen Erdmut Bramke, Petra Lemmerz, Yeun-Hi Kim, Karin Radoy und Marie Thérèse Vacossin, kommt man gleich zum Thema. Nach drei wie im Flug vergangenen Stunden ist erst ein Bruchteil erzählt und die Erkenntnis gewonnen, dass einem hier nicht »ein Leben wie ein Roman«, präsentiert wird, sondern ein leidenschaftlich und intensiv gelebtes Stück Kunstgeschichte.
Sie sei eine »Perlentaucherin«, sagt sie von sich selbst und meint die Spezialistin, die mit hohem Anspruch an Qualität ihre Schätze birgt. Und das kommt nicht von ungefähr: Als Germanistin mit zwei Staatsexamen und Studium der Kunstgeschichte hatte die in Memmingen gebürtige Gudrun Spielvogel mit Anfang 20 über einen Textauftrag zu Hans Arp den Druckgrafik-Verleger Wolfgang Wassermann kennengelernt – ihren Einstieg in die Kunstwelt. Als dessen Partnerin war sie für mehrere Jahre für die Editionen verantwortlich und leitete später die gemeinsame Galerie. Nach der Trennung von Wassermann beschloss sie 1991, eine eigene Galerie in der Oettingenstraße zu eröffnen. Anfangs arbeitete sie noch nebenbei als Lehrerin am Gymnasium, um das Vorhaben zu finanzieren. Nach sieben Jahren wechselte sie in die Räume in der Maximilianstraße, die sie bis heute mit regelmäßigen Ausstellungen »ihrer« Künstler, wie sie sagt, bespielt, zu deren Stamm u. a. Klaus Staudt mit seinen Objekten und Zeichnungen, die Steinbildhauer Kubach & Kropp, Nelly Rudin mit ihren Wandobjekten, Peter Vogel mit seinen Klang- und Lichtobjekten, der Papierkünstler Oskar Holweck und der Maler Andreas Brandt zählen. Zusätzlich führt sie seit Beginn des Jahres ein kleines Kunstkabinett in Untersendling.
20 Jahre lang, bis 2018, war Gudrun Spielvogel im Vorstand der Galerieninitiative, dem Verband Münchner Galerien für zeitgenössische Kunst, fünf Jahre deren Vorsitzende. Sie hat nicht nur die jährliche OPEN ART mitgeprägt, sondern auch neue Formate wie PLATEAU München ins Leben gerufen.
30 Jahre Galerie Spielvogel – wie fühlt sich das an?
Es fühlt sich an wie angekommen! Wenn du eine Galerie anfängst, solltest du Spaß haben, wie ein kleines Kind, das herumhüpft. Überhaupt nicht nachdenken, einfach machen. Das war die Kinderstube. Aber im Lauf der Jahre weißt du, was du dir erlauben kannst. Die Galerie ist erwachsen geworden, aber die Freude wie am Anfang: Ich mache es gerne und werde es auch so weitermachen. Nur – es ist eine Galerie und kein Experimentierraum.
Beim Namen Galerie Gudrun Spielvogel hat man sofort ein klares Bild vor Augen: ein seit 30 Jahren unverändertes programmatisches Profil und typografisch gestaltete Einladungskarten mit Loch, deren einzige Veränderung die Farbe ist.
Wenn du selbst mit dir im Klaren bist, weißt du genau, was du willst. Das Experimentieren – dazu brauchst du ein zweites Leben. Als ich das Erscheinungsbild meiner Galerie entworfen habe, bin ich zu einer guten Grafikerin gegangen: Es wird ein strenges Programm geben, es wird ein lyrisches Programm geben, und ich möchte weiterhin mit meinem Namen werben. Heraus kam das Konzept mit dem wechselnden Farbstreifen und dem gestanzten Fenster. Die Stanze stand für den Durchblick. Es hat sich gezeigt, dass viele der Galerien, die häufig Programm und Layout wechseln, in der Masse der Galerien einfach untergehen, so dass man gut daran tut, sich programmatisch einmal eine Nische zu schaffen und ein klares Erscheinungsbild. Mache etwas kontinuierlich, damit man weiß, wo man hingeht.
Mit Deinem Programm setzt Du ein Stück Kunstgeschichte fort, liegen doch die Wurzeln der konkreten und konstruktiven Kunst 100 Jahre zurück.
Ich würde bei der von mir vertretenen Kunst nicht wirklich von konkreter Kunst im engen Sinn sprechen. Andreas Brandt ist eher ein lyrischer Maler als ein konkreter. Nelly Rudin steht Ellsworth Kelly näher als Max Bill, der war schon die Generation darüber. Ich sage eher konstruktiv-minimalistisch oder lyrisch-abstrakt. Da bin ich mehr dem Zero-Gedanken verpflichtet, was bedeutet: das Material sprechen lassen, das Licht sprechen lassen. Die Jüngeren zeichnen sich durch andere Methoden aus, etwa Felicitas Gerstner, sie arbeitet mit der Enkaustik, also mit in Wachs gebundenen farbigen Pigmenten. Oder Gaby Terhuven mit ihrer speziellen Methode der Hinterglasmalerei. Das sind alte Techniken, die in neuer Weise eingesetzt werden, Licht und Technik verbinden sich, das Formenvokabular erscheint in neuem Gewand.
Was reizt Dich an dieser Kunstrichtung?
Ich hatte eigentlich immer die Affinität zur nicht abbildenden Kunst. Und immer die Affinität zum Purismus. Ich war immer begeistert, wenn einer eine Sache, sei es sprachlich, sei es musikalisch, sei es malerisch auf den Punkt gebracht hat. Kein Pedant, aber jemand, der es liebt, etwas zu präzisieren, der auch gutes Design zu schätzen weiß oder die perfekte Form. Und ich habe auch genau beobachtet, ob sich unsere Form zu wohnen an diesen konstruktiven Bereich angelehnt hat. Die Entdeckung der modernen und zeitgenössischen Kunst war nach meiner damaligen Beschäftigung als Germanistin mit Joseph von Eichendorff und der Romantik wie eine Befreiung. Es war zunehmend faszinierend ein Terrain zu begehen, auf dem du mit deinem sprachlichen und deinem gedanklichen Wissen aus dem Romantikgedanken heraus die Moderne kapiert hast. Natürlich hat man einen Stempel auf dem Kopf als Romantiker, als Ästhet. Das ist nur ein dünnes Eis innerhalb des ganzen Bereichs der Kunst.
Eigentlich bist Du ja eine Spezialistin für Druckgrafik.
Die ersten Jahre mit Wolfgang Wassermann waren eine Lehre. Ich habe die Editionen betreut, bibliophile Mappenwerke, die ich vom Verlegerischen her zusammen mit den Künstlern koordiniert habe. Ich war international unterwegs. Da habe ich einen riesen Überblick bekommen, aber auch etliche persönliche Kontakte zu namhaften Künstlern. Mit der Gründung meiner eigenen Galerie wollte ich zunächst die Editionen weiterführen, aber das ist heute nicht mehr zeitgemäß, das Interesse ist schwächer geworden, der Sammlerkreis kleiner, das demokratische Denken von damals und die Wertschätzung der Auflage sind geringer geworden. Jeder will heute das Unikat. Aber eine kleine Edition jedes Jahr, das ist geblieben.
Wie entdeckst Du junge Künstler?
Junge Künstler sind in meinem Programm nicht vorhanden. Die sind alle mein Alter oder älter. Das Alter spielt aber nicht die Rolle, die Eigenständigkeit und Persönlichkeit sind mir wichtig. Ich habe einen großen Fundus an Künstlern, zum Beispiel allein durch die Edition Fanal in Basel, eine Werkstatt für konstruktive Druckgrafik. Da habe ich so viele interessante Künstler kennengelernt, die ich hätte zeigen können. Aber das bringt nichts. Man muss einzelne Künstler begleiten und mit ihnen zusammen wachsen. Die intensiven Diskurse mit den Künstlern waren für mich immer wichtig und haben mich von einem zum anderen geführt.
Wie wirst Du Dein Jubiläum begehen?
Es is unmöglich, alle Künstlerinnen und Künstler in meinen Räumen zu zeigen, mit denen ich über 30 Jahre zusammengearbeitet habe, deshalb ist das Jubiläumspaket häppchenweise geschnürt. Es wird jedem Künstler, der noch lebt, in Einzel- und Gruppenausstellungen besonderes Augenmerk gegeben. Es kommt eine große Accrochage mit den wichtigsten Künstlern in der Jubiläumsausstellung im September, mit der auch dem Namen Galerie & Edition Rechnung getragen wird, da es Sondereditionen geben wird. Und es wird weitergehen im Oktober mit Lienhard von Monkiewitsch, mit dem ich von Beginn an zusammengearbeitet habe. Seit Anfang des Jahres gibt es zusätzlich das kleine Kunstkabinett in der Alramstraße, das wie eine kleine Gedächtniskapelle jeden Monat einem Künstler gewidmet ist, um darauf aufmerksam zu machen, da gab es mal jemanden …
Ein kleiner Off-Space! War das ein Zugeständnis an den Zeitgeist oder eine Reaktion auf die coronabedingten Schließungen, oder wie kamst Du auf dieser Idee?
Mit Corona hat es nichts zu tun. Da war die kleine Ladengalerie, die ist frei geworden in meiner Straße. Ich finde die Idee, Raum zu nutzen, der leer steht, schon lange total attraktiv. Da sitzt keiner, der was verkaufen will, das ist der Raum nur für den Künstler. Die Maximilianstraße ist eine feine Adresse, aber sie ist letztendlich tot. Aus Sicherheitsgründen muss ich abends die Rollos runterlassen. In Sendling gehen die Leute abends spazieren. In so ein kleines Schaufenster kannst Du immer reinschauen und was entdecken. Es ist abends beleuchtet, das ist niederschwellig. Ich werbe damit für die Kunst, mehr ist es eigentlich nicht. Einfach die Kunst ins Leben bringen! ||
GUDRUN SPIELVOGEL GALERIE & EDITION
Maximilianstraße 45 | Mi–Fr 14–18, Sa 11–14 Uhr, nach vorheriger Terminabsprache Springtime/Summertime. Künstlerinnen der Galerie
Erdmut Bramke, Petra Lemmerz, YeunHi Kim, Karin Radoy, Marie Thérèse Vacossin | bis 28. August
KUNST-KABINETT
Alramstr. 25 | von außen einsehbar | Juli, August Sigurd Rompza: »Farb-Licht-Modulierungen«, Wandobjekte
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