Mit »The Woman Who Left« schafft Lav Diaz ein fast vierstündiges Meisterwerk. Hier lohnt es sich, die Zeit zu investieren.
Extreme Überlängen, triste Schwarz-Weiß-Bilder, Szenen, in denen buchstäblich nichts passiert. Filmkenner wissen, dass die Werke des philippinischen Regisseurs Lav Diaz keine leichte Kinokost sind. Es sollte aber auch bekannt sein, wie lohnenswert es ist, sich an sie heranzuwagen. Auch sein neuer Film »The Woman Who Left« ist mit seinen 228 Minuten alles andere als Unterhaltung für zwischendurch.
Die Philippinen im Jahr 1997: Nach dreißig Jahren kommt Horacia Somorostro (Charo Santos-Concio) aus dem Gefängnis frei, in dem sie unschuldig für den Mord an ihrem Verlobten einsaß. Wieder in Freiheit wird sie Teil eines Landes, das von Armut, menschlichen Abgründen und Verbrechen gezeichnet ist. Doch unter den Ärmsten der Armen bringt sie mit Güte und Solidarität ein wenig Licht in deren Leben. Gleichzeitig ist sie jedoch getrieben von der Wut auf den Mann, der drei Jahrzehnte ihres Lebens auf dem Gewissen hat.
Ziemlich schnell wird klar, warum »The Woman Who Left« fast vier Stunden dauern muss. Diaz bringt für seine Figuren und deren Schicksale wahrhaftes Interesse auf. Der Zuschauer erhält Einblicke, die in einer normalen Laufzeit gar nicht möglich gewesen wären. Das macht diesen Film durchaus zugänglicher als einige von Lav Diaz’ früheren Werken, in denen gerne auch bloßen Naturaufnahmen viel Platz eingeräumt wurde. Die Tristesse tritt dieses Mal zugunsten direkter emotionaler Teilnahme zurück, da er fast dokumentarisch diese Unmengen an Ungerechtigkeit aufzeigt und sie den kleinen Momenten wahren Glücks gegenüberstellt. Besonders eine Karaokeszene mit einer transsexuellen Prostituierten, die Horacia unter ihre Fittiche nimmt, sticht in ihrer ganzen Wärme und Lebensfreude aus dem düsteren Moloch heraus. Und obendrein schafft es Diaz hier wirklich, Spannung aufzubauen, wenn Horacia fast nebenbei ihre Rache plant. Dank seiner unverkennbaren Handschrift bleibt trotzdem alles eine Einheit.
Wer sich also noch nicht an die Arbeit dieses einzigartigen Filmemachers gewagt hat, sollte »The Woman Who Left« als willkommenen Einstieg sehen. Der Goldene Löwe bei den 73. Internationalen Filmfestspiele von Venedig im Jahr 2017 war hier mehr als verdient. ||
THE WOMAN WHO LEFT
Philippinen 2016 | Regie: Lav Diaz
Mit: Charo Santos-Concio, John Lloyd Cruz, Michael de Mesa u. a. | 226 Minuten
Seit 4. Februar in aus gewählten Kinos
Trailer
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