Regisseurin Pınar Karabulut lässt sich von Herbert Achternbuschs »Dogtown Munich« zu einem wilden Ritt durch den Münchner Mythendschungel verleiten.
Ganz schön viel Dampf auf der kleinen Bühne des Volkstheaters! Eingangs vernebelt er die Gestalt, die quälend langsam an den zu beiden Seiten einer Art Aufführungsschneise sitzenden Zuschauern vorbeischreitet. Sichtbar bleiben nur Stock und Gummistiefel, später ein wackelnder Kopf mit Hut. Zu hören gibt es eine gut durchrhythmisierte Suada, die eine knarzige Stimme vom Stapel lässt: Um Argos geht es darin, diesen »Wartesaal auf Nichts«. Aber auch um Dinge wie »gefüllte Tomaten« und »Linksverkehr«.
Herbert Achternbusch hat allerlei Banal-Pathetisches hineingemischt in sein von mythischen Figuren und Theater-Menschen bevölkertes 21-seitiges Textkonglomerat namens »Dogtown Munich«, das Pınar Karabulut zwei Jahre nach seiner Entstehung uraufgeführt hat. Eine Herzensangelegenheit für die 1987 in Mönchengladbach Geborene, der gerade die Anarchie und Strukturverweigerung von Achternbusch-Texten gefällt, wie sie vor der Premiere der SZ anvertraute. Und tatsächlich scheint der mittlerweile 78-jährige Autor, Maler, Filmemacher und Berufsgrantler in seinem aktuellsten Text nichts anderes zu wollen, als abermals vom Leder zu ziehen über seine hassgeliebte Heimatstadt München, und er kalauert und fabuliert dabei, als gäbe es (für ihn?) kein Morgen.
Schleudertrauma unter der Mariensäule
Am Marienplatz, wo Achternbusch noch immer wohnt, marschiert alles auf: das Bajuwarische und katholisch Bigotte, all die lebenden Schaufensterpuppen und Schauspieler ihrer selbst. Die Marienstatue macht auf ihrer Säule Karl Valentin Platz und outet sich als Hitler-Groupie, Herakles rettet Argos/Munich vor einem unsichtbar bleibenden Naziaufmarsch und das Rathaus-Glockenspiel wird lebendig. Dieses schräge Potpourri gerät bei Karabulut zu einem surrealen High-Speed-Quatsch, der Analyse (immer!) wie Bebilderung (oft!) verweigert und für den Zuschauer bald zu einer Art Dampfbad im Dunstkreis schwitzender Schauspielerkörper mutiert.
Viel Sinn macht schon die Vorlage nicht, deren Prolog der Autor »mit Musikinitiativen, Durchgängen und Abbrüchen wie ein Schleudertrauma« inszeniert sehen wollte. Und »Schleudertrauma« ist ein gutes Stichwort für den Zustand, in den Moritz Kienemann, Leon Pfannenmüller, Julia Richter und Timocin Ziegler sich und uns spielen. Richter erweist sich als rotzfreche Göre »Zunge« oder ihre ein Weißwurstherz auswürgende Maria als nimmermüde Hochspannungsperformerin. Und Kienemann wetzt, robbt und turnt mit und ohne Fatsuit hochkomisch durch sämtliche surreal-dadaistischen Problemzonen. Sie schreien leise »Hilfe!«, machen »Dutzidutzi«, hauchen Zuschauern ins Gesicht und teilen ihren Kaugummi mit ihnen.
Körpersprachlich ist zwischen Ausdauersport und Martial Arts Comic alles dabei; ein gereckter ET-Finger fordert zum Hakeln auf, Gegner werden mit lang gezogenen Vokalen in die Flucht geschlagen und nach überdrehten Fights rückt man sich die Hennaperücke zurecht, um ausgesprochen distinguiert den Gang zu Sport Münzinger anzukündigen. Dieser hysterischen Respektlosigkeit zuzuschauen macht eine Weile richtig viel Spaß. Dann dampft es plötzlich nur noch, und das Ende kommt, ohne dass man Achternbuschs Verletzlichkeit begegnet wäre, die ihn – trotz aller Wüte- und Spintisiererei – zu einem Poeten macht. ||
DOGTOWN MUNICH
Volkstheater, Kleine Bühne | 13. März| 19 Uhr
4. April| 20 Uhr | Tickets: 089 5234655
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