Caitlin van der Maas, Olga Prusak und Lena Gorelik widmen sich in »Drei kleine Schweine im Krieg« der Frage, wie die Kraft der Propaganda (Mikro-)Gesellschaften und die Kunst erodiert.
Drei kleine Schweine im Krieg
Wind of Change

»Drei kleine Schweine im Krieg« untersucht, wie Propaganda wirkt | © Anna Gohmert
Auf den Fotos auf Caitlin van der Maas’ Handy sehen die drei Schweinchen putzig aus. Sie haben aber auch das gewisse Etwas, das die Figuren der Puppenspielerin Tine Hagemann immer haben: Eine Form der Melancholie, die in diesem Fall noch unterstrichen wird von den Flicken auf den kleinen Körpern, die zu sagen scheinen: »Wir sind zwar in die Jahre gekommen, wurden aber geliebt.«
In der neuen Inszenierung der freien Musiktheaterregisseurin fiebern die drei gerade dem 50. Geburtstag eines Puppentheaters in der belarussischen Provinz entgegen, in dem ihre Vorbilder, drei andere Schweinchen, im Jahr 1990 erstmals heftig bejubelt wurden. Diese Erfolgsproduktion gab es wirklich. Olga Prusaks Stück »Drei kleine Schweine im Krieg«, das am 6. Februar im Münchner HochX Premiere feiert, basiert auf den Erinnerungen der Autorin, die in diesem Theater in ihrer und Marc Chagalls Geburtsstadt Vitebsk Beleuchterin war, bis der Angriff Russlands auf die Ukraine unter belarussischer Beteiligung ihre Wahlfamilie ideologisch auseinandersprengte Prusak und van der Maas haben sich über das Netzwerk Münchner Theatertexterinnen kennengelernt, das die Künstlerin beim Fußfassen im deutschen Exil mit einem Stipendium und auch ganz praktisch unterstützt hat. Zur Dramatisierung ihres emotionalen Textes hat van der Maas die in Sankt Petersburg geborene deutsche Schriftstellerin Lena Gorelik hinzugezogen, um »die konkreten Lebensumstände und kulturellen Besonderheiten in etwas zu übersetzen, was auch dem deutschen Publikum verständlich ist.«
Die Inszenierung wird auf Belarussisch übertitelt, die Bühnensprache ist größtenteils Deutsch. Sie soll beide Communities ansprechen und ist mit Tine Hagemann, den Schauspielerinnen Ursula Berlinghof und Susanne Schröder, der ukrainischen Puppenspielerin Kateryna Bondarenko und dem in Warschau lebenden belarussischen Musiker Andrew Evdokimov auch gemischt besetzt. Das Team hat sich viel untereinander ausgetauscht, aber auch mit der von Frauen getragenen friedlichen Blumenrevolution gegen die Willkürherrschaft Alexander Lukaschenkos beschäftigt und mit den drei Oppositionspolitikerinnen Swetlana Tichanowskaja, Veronika Zepkalo und Maria Kalesnikava. Im Zentrum des Abends für alle Menschen ab 14 Jahren steht die Frage nach den Mechanismen und Folgen von Propaganda, die Caitlin van der Maas bereits in »Die goldene Lüge« (2017) und »Der stille Dirigent« (2020) umgetrieben hat. Die Struktur ihrer neuen Arbeit vergleicht sie mit einem »Layer Cake«, einer Schichttorte, in der eine Schicht die Show ist, in der das bekannte englische Märchen mit den drei kleinen Schweinchen gespielt wird, deren Haus ein Wolf zum Einsturz zu bringen versucht. Weiter gibt es noch die Fantasien der Schweinchen, die Perspektive von drei Schauspielerinnen und die des Theaterleiters, der auf die Sowjetzeit zurückblicken kann und nun sieht, wie ihm sein Haus unter den Fingern wegbröselt.
Eindeutig kein Kindertheater, nimmt der Abend laut van der Maas aber gerne die erzählerische Freiheit mit, die ihm die Märchenebene bietet. Die drei Schweinchen in einem Haus, gegen das der Wolf von außen seinen zersetzenden Atem bläst, ist ja auch ein starkes Bild für eine Mikrogesellschaft, in der alle so lange miteinander auskommen, bis der Druck von außen zu groß wird. Ob es sich bei dieser Gesellschaft nun um eine Familie, ein Theater oder ein Land handelt und ob der Druck nun von einem Krieg im eigenen oder einem Nachbarland, von der Propaganda oder etwas anderem kommt.
»Wie während der Pandemie«, sagt Caitlin van der Maas, »als vertraute Menschen plötzlich ganz seltsame Ansichten vertraten und man dachte: ›Hey, wir haben doch gestern noch in die gleiche Richtung geschaut.‹ Plötzlich beginnen ethnische und ideologische Unterschiede, an denen man sich nie gestört hat, zu kratzen und zu scheuern. Und wenn es deine Wahlfamilie ist, die an der Außenwelt zerplatzt, dann hast du gar nichts mehr. Dann wird es auf einmal ganz kalt und leer.«
»Drei kleine Schweine im Krieg« untersucht auch auf inszenatorischer und bildlicher Ebene, wie sich das, was von außen ganz klar wie Propaganda aussieht, von innen anfühlt – und wie sie einem nach und nach unter die Haut kriecht, wenn man ihr so dauerhaft ausgesetzt ist wie Andrew Evdokimovs elektroakustischer Musik: »Sie wird an deinen Ohren lecken, an deinen Haaren ziehen, versuchen, dich zu imprägnieren, bis du mit ihr nach Hause gehst wie mit einem Ohrwurm«, beschreibt es van der Maas. Besonders zwei Sätze von Olga Prusak lassen sie selbst nicht mehr los: »Wenn es mein Haus nicht betrifft, betrifft es mich nicht. Mein Haus steht am Rande der Stadt.« Sätze, die einschlagen, wenn man das eigene Verhalten angesichts des nicht nur räumlich so nahen Krieges in der Ukraine überdenkt: Das Sich-Einigeln in den Alltagsroutinen und -sorgen, nur um den immer lauter werdenden Wind nicht hören zu müssen. Solange unser Haus nicht mit Bomben beschossen wird, ist es der Krieg der anderen. Aber der »wind of change« weht weiter und ist geduldig. ||
DREI KLEINE SCHWEINE IM KRIEG
HochX | Entenbachstr. 37 | 6., 8. Feb. | 20 Uhr | 9. Feb. | 15 Uhr | Tickets: 089 90155102
Weitere Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Die Bairishe Geisha: Das Performance-Projekt wird 21
»Götz von Berlichingen« am Residenztheater
Fata Morgana: Influencer-Satire am Volkstheater
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton