Mit »Jupiter« legt HFF-Absolvent Benjamin Pfohl seinen ersten abendfüllenden Spielfilm vor. Thomas Lassonczyk sprach mit dem Wahlberliner über künstlerische Freiheit, politische Radikalisierung und das Baumsterben am Dreisesselberg.

Jupiter

»Bayern ist der ideale Ort für Filmemacher«

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Benjamin Pfohl © privat

Herr Pfohl, Sie haben lange Zeit in München gelebt. Inzwischen hat es Sie nach Berlin verschlagen. Warum?
Es war einfach Zeit für eine Luftveränderung. Ich bin für die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) nach München gezogen und habe mir dort im Verlauf von 15 schönen Jahren ein privates wie berufliches Netzwerk aufgebaut. Aber dann hatte ich das Gefühl, es ist Zeit für was anderes. Im Übrigen habe ich vor, auch weiterhin in und aus München heraus Filme zu drehen, bin beruflich wie privat nach wie vor viel in München.

Berlin ist auch keine schlechte Adresse, was das Filmemachen angeht.
Da haben Sie recht. Aber das trifft auch für München zu. Dort ist alles viel kleiner, und deshalb lernt man sich schneller kennen. Aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich nach Berlin gehen müsste, damit es in Sachen Film läuft. In Bayern gibt es eine hervorragende Filmförderung, starke Produzent*innen und Filmemacher*innen und natürlich besondere Orte, die wir uns bei unserem Film auch zunutze gemacht haben. Ich finde, Bayern und damit München ist ein ganz toller Ort, um Filme zu machen.

Sie sind ja – mit Verlaub – nicht mehr der Jüngste für ein Spielfilm-Regiedebüt. Sehen Sie sich selbst auch als Spätstarter?
Ja und nein. Es hat tatsächlich alles bei mir ein bisschen gedauert. Aber ich wusste sehr schnell, dass ich an der HFF studieren möchte. Nur die HFF hat ein wenig länger gebraucht, bis sie herausgefunden hat, dass sie mich gerne hätte (lacht).

Sie haben zunächst Produktion studiert?
Das stimmt. Aber schon immer mit Regieambitionen. Ich konnte dann innerhalb der HFF das Fach wechseln und habe 2019 meinen Abschluss gemacht. Was mir an der Schule besonders gut gefallen hat, war, dass man dort sehr viel Zeit verbringen kann und diese Freiheit auch stets gegen den Druck eines Bachelorabschlusses verteidigt wird. Wenn man etwa gerade keine Inspiration für einen nächsten Film hat, dann kann man auch mal eine Auszeit nehmen, um den Kopf freizubekommen und sich inspirieren zu lassen. Diese Freiheit des künstlerischen Prozesses, und auch des Selbstentdeckens, hat mir an der HFF schon immer besonders imponiert.

Sie haben 2018/2019 einen Kurzfilm mit dem Titel »Jupiter« inszeniert. Haben Sie damals schon geahnt, dass bei dem Thema mehr dahintersteckt als »nur« ein Kurzfilm?
Nein. Zunächst ging es uns darum, einen richtig kurzen Kurzfilm zu machen. Wir wollten die Frage beantworten: Wie wenig braucht es, um eine spannende Geschichte zu erzählen? Und erst in der Entwicklungsphase haben wir gespürt, dass da mehr zu erzählen ist. Da ging es eben auch schon um Sekten, Kult und was in Deutschland, Europa und im Rest der Welt passiert, wie sich Menschen politisch radikalisieren, Stichwort: Pegida, Reichsbürger, Trumpismus oder Le Pen in Frankreich.

Definitiv zu viel Stoff für einen Zehnminüter! Wie ging es dann weiter?
Wir hatten das Glück, dass dieser Kurzfilm extrem erfolgreich war. Er lief auf über 70 Festivals und konnte mehrere Preise gewinnen. Und weil in Publikumsgesprächen immer wieder die Frage auftauchte »Kommt denn da noch mehr?« fühlten wir uns in unserem eigenen Bedürfnis, mehr zu erzählen, bestätigt. Dann haben wir uns tief in die Augen geschaut und gesagt: Jetzt
machen wir das Ganze noch mal als Langfilm.

Interessanterweise ist von »Jupiter«, dem Kurzfilm, fast nichts übrig geblieben. Klar, der Kern der Geschichte ist noch zu erkennen, aber ansonsten haben Sie alles umgekrempelt.
Als feststand, dass wir uns dem Thema noch einmal widmen, haben wir uns auf Folgendes geeinigt: Wir wollen denselben Film nicht nochmal machen, wir wollen uns stilistisch nicht wiederholen. Da muss etwas Neues, etwas Anderes her, auch mit anderen Darsteller*innen und einer ganz anderen Schauspielästhetik.

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In Benjamin Pfohls Filmdebüt »Jupiter« sucht eine Familie Erlösung in einer kosmischen Sekte © MissingFilms

Hut ab, dieses Ziel ist in vollem Umfang erreicht worden.
Vielen Dank, ich höre heraus, Sie waren halbwegs unterhalten?

Unbedingt. Zumal es schon immer hieß, in Deutschland könne man keine Science-Fiction-Filme realisieren, weil das Geld und die entsprechenden Produktionsstätten fehlen. Roland Emmerich, das Spielbergle vom Schwabenländle, war einer der wenigen, der das Gegenteil beweisen konnte. Nun kann man aber »Jupiter« ja nur bedingt als klassische Science-Fiction bezeichnen …
Das ist richtig. Aber eine Faszination für dieses Genre ist bei mir in jedem Fall vorhanden. Das beruht auf frühen Kindheitserinnerungen, ich bin mit »Star Wars« aufgewachsen. Aber was hier bei »Jupiter« zum Tragen kommt, ist eher in der traditionellen Sci-Fi-Literatur verankert. Dort wird – auf abstraktere Weise – immer wieder versucht, das Zukünftige zu nutzen, um das Gegenwärtige zu verhandeln, etwa »Brave New World«, »1984« oder auch »Fahrenheit 451«.

In »Jupiter« spielt eine Sekte eine zentrale Rolle. Wie viel Recherche oder gar eigene Erfahrungen stecken dahinter?
Glücklicherweise habe ich keine Berührungspunkte mit Sekten. Aber ich habe natürlich viel recherchiert. Es ist die Pflicht eines jeden Filmschaffenden, eines jeden Geschichtenerzählers, zu wissen, wovon man erzählt. Also habe ich bei den radikalen politischen Kräften dieser Tage Recherche betrieben, mir viele Pegidaund AfD-Reden angehört und analysiert. Und dabei findet man sehr schnell heraus, dass alle dieselbe Sprache benutzen, aber die Ideologie dahinter, der Inhalt, beinahe austauschbar ist.

»Jupiter« ist, wie schon angesprochen, mehr als nur Science-Fiction, der Film kann auch als Familiendrama, Ökothriller und Comingof-Age-Story gelesen werden. Gleichzeitig werden auch heutige gesellschaftliche Missstände wie Klimawandel, Erderwärmung, kurz, der Raubbau an unserem Planeten, angesprochen. Wie haben Sie dafür die passenden Schauplätze gefunden?
Unser Szenenbildner Fryderyk Świerczyński ist tatsächlich wochenlang durch Bayern gefahren und hat nach geeigneten Orten gesucht. Dann hat er die Wälder am Dreisesselberg gefunden, die vor ein paar Jahren dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen sind. Dieser Berg steht für uns als ein Symbol für eine immer unwirtlicher werdende Welt. Gleichzeitig vermitteln die kahlen Bäume den Eindruck, als würden sie wie ein Meer aus Antennen gen Himmel ragen. Diese auch für mich bis dato unbekannte, futuristisch wirkende Landschaft war ein großes Geschenk für »Jupiter«. Und damit schließt sich der Bogen und wir sind wieder in Bayern als idealem Ort für kreative Filmemacher gelandet. ||

JUPITER
Deutschland 2023 | Regie: Benjamin Pfohl | Buch: Benjamin Pfohl, Silvia Wolkan | Mit: Mariella Aumann, Laura Tonke, Andreas Döhler | 101 Minuten | Kinostart: 23. Januar | Website

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