Serge Aimé Coulibalys »Balau« an den Münchner Kammerspielen bringt die Gespenster des Kolonialismus zum Tanzen.

»Balau« von Serge Aimé Coulibaly

Die blinden Flecken der Empathie

balau

Ahmed Soura in »Balau« von Serge Aimé Coulibaly | © Julian Baumann

Sie bringen Gaben wie die Heiligen Drei Könige und zählen auf: Beethovens Neunte, Malaria, zwei Monate Urlaub in Afghanistan, Existential Angst. Kaum eines dieser vergifteten Geschenke würde in die wie Rouladen verschnürten Päckchen passen. Der ebenso poetische wie drastische Text stammt von dem im Kongo geborenen Dichter Fiston Mwanza Mujila und entstand im Dialog mit der Choreografie, die Serge Aimé Coulibaly für die Münchner Kammerspiele entwickelt hat. »Balau« heißt der Abend, was in der westafrikanischen Sprache Dioula einen allesverändernden Schicksalsschlag meint. In der Therese­-Giehse-­Halle trifft er die Menschen bei einer Hochzeitsfeier, die aussieht wie eine Art Speed-­Dating von Menschen, denen ihr aus der Kolonialgeschichte geborenes Verlegenheitslä­cheln vergeht. Hände wollen klatschen, finden aber nicht mehr zusammen; die Minen versteinern, Musik überlagert die Worte, Stroboskoplicht zerreißt das Bild. Von Eve Martins Bühne, einer Tropfsteinhöhle aus Spitzengardinen, fallen Fetzen zu Boden. Das ist der Bruch, der die Tänzer, die mit individuellen Moves und Unsicherheiten auf die Bühne gekommen sind, zur Schicksalsgemeinschaft eint. Das stilisierte fröhliche Winken und lässige Abwinken, Däumchendrehen und Flirten mit der ersten Zuschauerreihe ist Geschichte. André Benndorff steigt für eine Art Zombietanz auf den Tisch. Ritualisierte Bewegungen ergreifen von den Menschen Besitz, die immer wieder als Gruppe über die Diagonale auf die Rampe zu marschieren.

Es ist ein diverses Menschheits­-Rudel, bestehend aus fünf Ensemblemitgliedern und drei Tänzern aus Coulibalys Faso Danse Théâtre. Sein Debüt an den Kammerspielen gab der aus Burkina Faso stammende Choreograf mit Wohnsitz in Brüssel vor zwei Jahren, als KoRegisseur von Jan-­Christoph Gockel in »Les statues rêvent aussi«. »Balau«, seine erste eigenständige Arbeit an einem deutschen Stadttheater, hat viel von der Intensität des Solos »Filtry«, mit dem er 2021 bei der digitalen Ausgabe des Festivals DANCE einen Gruß aus dem afrikanischen Kontinent nach München schickte, der das eigene privilegierte Leid an der Pandemie klein aussehen ließ. »Balau« streckt sich aber auch deutlich nach dem Tanztheater Pina Bauschs oder Alain Platels, bei dem Coulibaly selbst auf der Bühne stand.

Der Abend ist politisch und erzählerisch, aber nicht linear und an Figuren gebunden. Themen wie Rassismus und globale Ungleichheit kommen in Fragen zur Sprache wie »Wessen Leben ist betrauernswert?«, oder in Schimpftiraden auf die nie versiegende Gier der reichen Länder auf Rohstoffe wie Kaffee, Baumwolle, Ethan und die Kraft der Jugend Afrikas. Sätze wie »Mein Körper ist ein Reservoir aufgeschlitzter Träume« unterstreichen das Lyrische des Textes, und der Tanz ist von den unterschiedlichsten Traditionen befeuert, mal illustrativ und mal expressiv, Begleittext zu einem Lied oder gemeinsame Sprache einer Gemeinschaft. Das tänzerische Niveau ist bei einem derart gemischten Cast natürlich unterschiedlich, aber Coulibaly hat alle Körper im Blick. Die blutigen, amputierten und lebendig begrabenen, die »Balau« herbeizitiert, wie die der Künstler auf der Bühne. Ob sie fast fliegen können wie Ahmed Soura, im Rollstuhl tanzen wie Erwin Aljukic oder so fest auf dem Boden stehen wie Martin Weigel, der die wunderbare Nadège Meta Kanku auf seinen Schultern trägt wie ein Kind – und später das Publikum fragt, ob es an Gerechtigkeit glaubt. Eine so explizite Konfrontation hätte dieser episodische Abend gar nicht nötig gehabt, der ansonsten der Kunst, der Kraft der Imagination und der Empathie vertraut, deren tote Winkel er beleuchtet, ohne je bitter zu werden. ||

BALAU
Münchner Kammerspiele | wieder am 15. und 16. November | 20 Uhr | Tickets

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