Nun ist doch alles digital bei der 17. Ausgabe der Münchner Biennale DANCE. Das Festival bleibt politisch und auf vielerlei Weise divers.
DANCE Festival 2021
Widerstandsbewegungen und digitale Utopien
»Mich interessiert das Digitale vor allem in seinem Unvermö gen, reale menschliche Körper zu repräsentieren. Das habe ich in der Pandemie noch einmal neu verstanden: Dass das Digitale sich nur mäßig eignet, Verbindungen zwischen Menschen zu schaffen, dass der immer wieder neue Versuch aber etwas Berührendes hat. In seiner Distanz, seinen Glitches und seiner Fehlerhaftigkeit hat das Digitale eine eigene Ästhetik, die mich fasziniert.« In dieser Aussage des Künstlers und Dramaturgen Tobias Staab stecken bereits viele der Hoffnungen und Befürchtungen, die sich von innen wie außen auf ein rein digitales Festival richten, das nun auch DANCE doch werden musste.
Festivalleiterin Nina Hümpel feilt auch auf den letzten Metern noch am Programm, hin und her gerissen zwischen taufrischen Genehmigungsverweigerungen und der Freude über »eine neue Verspieltheit«, die an Liveness rettet, was noch zu retten ist. Hier eine Live-Begrüßung zum Film, dort eine Diskussion nach einem Stream oder ein von der koreanischen Choreografin Eun-Me Ahn programmiertes Computerspiel. Aber nach dem neuen Gesetz können nun definitiv keine Veranstaltungen mit Publikum stattfinden, auch nicht draußen. Wenn auch im Falle von Richard Siegal, der sein Kölner Online-Erfolgsstück »All for One and One for the Money« zum »Extended Choreographer’s Cut« mit dem Titel »Two for a Show« erweitert hat, reale Publikumsentscheidungen gefordert sind. Siegals ursprünglich eingeladene Produktion »New Ocean Sea Cycle« wird am 10. Mai in der Pinakothek der Moderne aufgezeichnet und schon am 16. auf ARTE ausgestrahlt. Also gerade noch im Festivalzeitraum von DANCE. »Die Schnelligkeit, mit der Dinge plötzlich machbar sind«, schwärmt Hümpel, »ist total neu. Das ist eine spannende Kurve, die das Festival hier nimmt.« Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Karten für die großen Acts üblicherweise schon knapp werden. Kein Thema 2021, wo die Online-Veranstaltungen von und über Anne Teresa de Keersmaeker, Raimund Hoghe, Lucinda Childs und Emanuel Gat potentiell jedem offenstehen.
Dass Tobias Staabs Installation »Trans Corporal Formations« nun eine der Arbeiten ist, die entweder analog oder gar nicht besucht werden können, ist paradox, ist doch ihr Kern schon digital. Fünf Tänzerinnen von Siegals Ballet of Difference erscheinen einzeln auf Videoscreens, die laut Staab »von der Abwesenheit realer menschlicher Körper zeugen«. Die sollten im Blitz Club ebenfalls nur einzeln oder als Infektionsgemeinschaft zu Besuch kommen, was passt, hat Staab doch mit den Performer*innen ebenfalls einzeln gearbeitet: »Die Choreografie kam erst im Schnitt und im Nebeneinander der Screens zusammen. Jede Zusammenkunft bleibt eine digitale Utopie und unterstreicht zugleich die räumliche Trennung der Tänzer*innen, den Abstand, der eingehalten werden musste, und die Isolation, in die wir nach den Proben und Dreharbeiten zurückgekehrt sind.«
Dass nun sogar solche die pandemische Zeit spiegelnden, aber vor allem auch vollkommen pandemietauglichen Arbeiten abgesagt werden müssen, ist zum Heulen. Und dummerweise gehören auch alle Münchner Produktionen dazu: Ceren Orans »The Urge«, das halbprivate Choreografien aus dem Internet in den öffentlichen Raum bringen wollte und jetzt wieder in die Digitalität zurückmuss, aber auch die Soli von Anna Konjetzky und Judith Hummel sowie die DANCE History Tour, die nun statt mit dem Rad mit der Kamera die Hotspots der Münchner Tanzgeschichte abfährt.
Sehr früh schon digital geplant war das Symposium zum Thema, wie sich Künstler in der Krise politisch artikulieren. Was die globale Entwicklung angeht, verrät Sigrid Gareis, sei man sich im Kuratorinnen-Team mit Gabriele Brandstätter, Katja Schneider und Fabienne Imlinger einig, dass der Tanz in den letzten Jahren teils sehr kraftvoll und explizit politisch geworden ist und sich umgekehrt politische Proteste tänzerischer Ausdrucksformen bedient hätten: »Was früher die geballte Faust war, ist heute der Rave.« Was Europa betrifft, habe sie persönlich aber Zweifel: »Reichen Bewegung und Körperlichkeit wirklich aus, um globale Probleme zu beschreiben?«
Auch deshalb hat sich in diesem Symposium der Tanz mit der Literatur zusammengetan, in deren kulturellem Umfeld die Literaturwissenschaftlerin Imlinger heftige Turbulenzen ausmacht. Wie schnell sich etwa die »Black Lives Matter«-Bewegung auf europäische Leselisten niedergeschlagen hat, auf literarische Neuerscheinungen, aber auch auf die Institutionen, sei beachtlich. Damit sich die Debatte aber nicht in Binaritäten verfestige, wie sie gerade im Streit um die Amanda Gorman-Übersetzung zu beobachten waren, wolle man sehr genau hinschauen, kleinteilig, multiperspektivisch und vor allem dialogisch werden, erklären die beiden. Deshalb habe man gemischte Paare etwa aus Literatur- und Tanzwissenschaftler*innen oder Theorie und Praxis »gestiftet«, deren Vorträge und Interventionen aufeinander reagieren wie etwa die Münchner Schriftstellerin Lena Gorelik mit ihren Überlegungen zu Macht und Sprache – wer darf wie und warum worüber sprechen? – auf einen Vortrag über Gewaltlosigkeit von Lucia Ruprecht. Während Paare wie die Performerin und Choreografin Joana Tischkau und der Autor Michael Donkor gleich in eine sechswöchige Dialogbeziehung getreten sind, scheint dem Ansatz der Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstätter das Dialogische schon inhärent: Sie setzt das Marschieren als künstlerische Form mit dem Rhythmus in der Literatur in Beziehung.
Märsche spielen auch im Performanceprogramm von DANCE eine Rolle: Vom israelischen Militär geprägte bei Niv Sheinfeld & Oren Laor – und Protestmärsche beim belgischen Choreografen Jan Martens, dessen Uraufführung »any attempt will end in crushed bodies and shattered bones« das Festival eröffnet. Der Abend mit einem diversen Cast von 17 Tänzer*innen beschäftigt sich mit Widerstandsbewegungen im Wortsinn, deren Hauptstrategie Martens in der Organisation von Räumen verortet. Dennoch gibt es eine 25-minütige »Walking-Scene« in seinem Stück, die laut Martens Assoziationen mit Protest- und Militärmärschen, Kommunisten wie Nazis erlaubt. »Einen Teil dieser Szene«, erklärt er, »nennen wir ››Swing States Spektrum‹: Darin geht zunächst die ganze Gruppe acht Schritte zur Bühnenmitte und zurück, immer wieder; dann kommen andere Richtungen hinzu, bis sich das politische Feld komplett zersplittert hat. Wir haben sehr lange an diesem komplexen Schrittmuster gearbeitet, um uns damit als Gruppe im Raum und damit in der Gesellschaft zu positionieren: Es unterstreicht, dass jeder Einzelne Teil von etwas Größerem ist.« ||
DANCE 2021
Hier das komplette Programm
6.–16. Mai
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