Kilian Riedhof verfilmt mit »Stella. Ein Leben« die Geschichte der Stella Goldschlag, die andere Juden an die Gestapo verriet. Im Zentrum des Films steht die Frage »Was würdest du tun?«.

Stella. Ein Leben

Kein Diskursstück

stella. ein leben

Stella (Paula Beer) trifft sich mit ihrem ebenfalls untergetauchten Freund Aaron, um ihm gefälschte Papiere für die Flucht aus Deutschland zu verkaufen | © Majestic/Christian Schulz

Stella Goldschlag träumt von einer großen Karriere als Sängerin. Am liebsten stünde sie mit ihren Jazzsongs – berühmten Nummern wie »Let’s Misbehave«, die sie zusammen mit ihrer Band spielt – auf den Bühnen des New Yorker Broadway. An Talent fehlt es der jungen Frau, gespielt von Paula Beer, wahrlich nicht, doch ihre Lebensumstände könnten schwieriger nicht sein. Als Jüdin in Nazideutschland sind Stellas Hoffnungen auf eine Künstlerinnenlaufbahn, noch dazu eine im Ausland, bald dahin. Gemeinsam mit ihren Eltern sitzt sie im Reich fest. Spielräume für Freiheit verschwinden zunehmend und machen der gnadenlosen Verfolgung durch die deutschen Behörden Platz. Stella und ihre Mutter leisten Zwangsarbeit in einer Rüstungsfabrik. Einer Deportationswelle entgeht die Familie, doch müssen sie mitansehen, wie Stellas Ehemann verhaftet und deportiert wird. Die Familie taucht unter. Bei einem Versuch, an Lebensmittel zu kommen, lernt Stella den jüdischen Passfälscher Rolf Isaakson (Jannis Niewöhner) kennen und verliebt sich in den so charismatischen wie skrupellosen Ganoven. Fortan verdingen sich die beiden gemeinsam auf dem Berliner Schwarzmarkt. Die Notlage untergetauchter Juden nutzen sie aus.

Regisseur Kilian Riedhof, ein versierter Fernsehmann (»Gladbeck«, »Meinen Hass bekommt ihr nicht«) nimmt sich mit »Stella. Ein Leben« eines Themas an, das bereits in Form eines Musicals an der Neuköllner Oper, eines Dokumentarfilms (1995) sowie eines Spielfilms mit dokumentarischen Elementen (»Die Unsichtbaren – Wir wollen leben«, 2017) seine Umsetzung fand. Für größeren Debattenaufruhr sorgte zuletzt die Adaption des Stoffes durch den »Spiegel«-Journalisten und Romanautor Takis Würger. Der im Hanser-Verlag erschienene Roman fand sich in den Bestsellerlisten wieder. In Kritiken des Feuilletons fiel das Buch gnadenlos durch. Von manchen wurde der Roman mit melodramatischen Anleihen und einer klebrigen Liebesgeschichte als Holocaust-Kitsch bezeichnet. Anstoß nahmen Kritiker aber vor allem am Umstand, dass mit Stella Goldschlag nicht ausschließlich ein jüdisches Opfer der Nationalsozialisten beschrieben wurde, sondern auch eine Täterin.

Goldschlag und Isaakson werden bei ihrer Fälschertätigkeit eines Tages von der Gestapo gefasst. Stella wird vor eine unmögliche Wahl gestellt: Entweder sie kooperiert mit den Nazi-Behörden und hilft dabei Juden ausfindig zu machen, oder ihre Eltern würden deportiert. Stella entscheidet sich für die Kooperation und wird so vom Opfer zur Mittäterin.

Tatsächlich stellt die mehr als ausgiebige Auseinandersetzung mit dem Goldschlag-Stoff in den vergangenen Jahren eine eigenartige Obsession der deutschen Öffentlichkeit dar. Die Frage darf erlaubt sein, warum bei Millionen von möglichen und erzählenswerten jüdischen Biografien immer wieder die von Stella Goldschlag künstlerische Bearbeitung findet. Regisseur Kilian Riedhof und seinem Team – das wird anhand der vielschichtigen Produktion deutlich – ist jedoch nicht daran gelegen, ein für die deutsche Film- und Fernsehlandschaft so beliebtes bebildertes Diskursstück zu liefern. Die schauderhafte Notsituation seiner Protagonistin wird in der schnell geschnittenen und bedrängenden Inszenierung weniger auserzählt als auf bedrückende Weise erfahrbar gemacht. Riedhof arbeitet an entscheidenden Stellen mit Verfremdungseffekten – Naziuniformen erscheinen nicht im gewohnten Braun, sondern Graublau; die Metropole Berlin dagegen taucht er in warmes Licht, die das Historische modern erscheinen lassen und näher an den Zuschauer heranrücken. Distanz zum moralischen Dilemma Stella Goldschlags ist kaum möglich. In rohen Folterszenen, in der die Protagonistin der hemmungslosen Gewalt des deutschen Systems ausgeliefert ist, wird klar, dass sich die Frage, die ihr gilt, uns allen stellt: »Was würdest du tun?« ||

STELLA. EIN LEBEN
Deutschland 2023 | Regie: Kilian Riedhof | Buch: Marc Blöbaum, Jan Braren, Kilian Riedhof | Mit: Paula Beer, Jannis Niewöhner, Katja Riemann u.a. | 121 Minuten | Kinostart: 25. Januar | Website

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