Mehr als kafkaesk: Die großartige Schau »Kafka: 1924« im Museum Villa Stuck versammelt Werke von 33 zeitgenössischen Künster*innen, die sich auf Werk, Weltsicht und Wirkung des einzigartigen Schriftstellers beziehen.

Kafka: 1924

Die Schuld ist immer zweifellos

kafka: 1924

Andreas Gursky: »Pförtner – Passkontrolle« | 1982 | Inkjet-Print | Foto: © Andreas Gursky/VG Bild-Kunst Bonn 2023, Courtesy Sprüth Magers

Durchaus kafkaesk ist »The Killing Machine« von Janett Cardiff und George Bures Miller. Was aussieht wie ein antiquierter Behandlungsstuhl, umstellt von seltsamer Technik nebst Discokugel, kann bereits Unbehagen auslösen – grauenhaft und grotesk wird es, wenn sich über dem mit Kuschelfell belegten Zahnarztsessel die mit Nadeln bestückten Gelenk­Arme robotisch in Bewegung setzen und sich die ganze Apparatur dynamisiert. Die Installation stammt aus der Münchner Sammlung Goetz, von weiter angereist sind viele beeindruckende Leihgaben, die Kuratorin Helena Pereña zusammengebracht hat für »Kafka: 1924« im Museum Villa Stuck – eine der großartigsten Ausstellungen des Jahres. In einem Parcours durch das Haus, bei dem man immer wieder Überraschendem begegnet, werden Werke von 33 Künstler:innen präsentiert und in Verbindung gebracht. Arbeiten, die sich implizit auf Themen Kafkas beziehen lassen oder die direkt auf Kafkas Werk bezugnehmen.

»Es ist ein eigentümlicher Apparat, sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden«, so beginnt Kafkas Erzählung »In der Strafkolonie«, und man möchte – als heutiger Kunstforscher – ihn vielleicht gar nicht so genau inspizieren, obgleich sich hier die Gelegenheit bietet: Die grausame Maschine, mittels derer dem Delinquenten das Urteil auf den Leib geschrieben, in die Haut tätowiert wird, hat der revolutionäre Kurator Harald Szeemann 1975 eigens bauen lassen, für eine seiner legendären Ausstellungen, »Die Junggesellenmaschinen«. Übrigens las Kafka 1916 aus seiner damals noch unveröffentlichten Geschichte in München, im Kunst­-Salon Goltz. Er war aus Prag, seine Verlobte Felice Bauer eigens aus Berlin angereist; die Zuhörer reagierten eher ablehnend; die Presseberichte waren niederschmetternd. Felice gegenüber betonte er »den tatsächlich großartigen Mißerfolg, den das Ganze hatte«. Ein Prinzip der Strafkolonie formuliert der Satz »Die Schuld ist immer zweifellos.« An solche Sätze denkt man zurück, wenn man die in den Gang der Ausstellung eingestreuten, schwarz auf Gelb gedruckten Zitate liest: »Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg; was wir Weg nennen, ist Zögern«, lautet ein Aphorismus aus dem vom Freund Max Brod herausgegebenen Nachlassband »Beim Bau der Chinesischen Mauer«.

Solche Sätze – und natürlich die Kunstwerke – eröffnen Kafka-­Leser:innen einen außerordentlich vielstimmigen Resonanzraum. Nicht­-Leser:innen können sich in Comic-Stationen – »Kafka für Anfänger« von Robert Crumb und David Zane Mairowitz« – über Kafkas Leben und Werk informieren und zum Lesen einladen lassen. Auf Kafkas berühmte Erzählung »Die Verwandlung« beziehen sich Teresa Hubbard und Alexander Birchler in ihrer Foto­Arbeit »Gregor’s Room«. Die zeigt freilich keinen Käfer, sondern den sich verändern den Raum, weil in ihrer Geschichte Gregor sich als Opfer eines Lauschangriffs erfährt und auf der Suche nach der »Wanze« das Zimmer zerlegt. Einen Nachbau wiederum gibt es in einem großformatigen Leuchtkasten­Foto von Jeff Wall: »Odradek, Taboritskà 8, Prag, 18. Juli 1994« inszeniert einen Moment im Stiegenhaus. Und der Figur wird man neben einer Treppe in der Ausstellung wiederbegegnen. Bei Kafka sieht Odradek aus »wie eine flache sternartige Zwirnspule«, stabilisiert mit einem Standbeinchen. Wall hat sein Bild von diesem »Gebilde« geschaffen, einem sinnlosen oder undeutbaren, außer­ und übermenschlichen Wesen.

kafka: 1924

»Foltermaschine aus der Erzählung ›In der Strafkolonie‹ (1914) von Franz Kafka« 1975 | Foto: Albert Winkler

Thematische Komplexe in der Ausstellung sind etwa Schuld und Scham, gesellschaftliche Tabuisierungen und Schmerz­ und Ekelgrenzen. Der Körper ist hier psychologisch und sozial sowohl Bühne als auch Kampfzone. Mona Hatoum geht dem Ritual des Essen nach, wenn sie in »Deep Throat« endoskopisch die Verdauungsorgane auf den Teller bringt. Minimalistisch (wenngleich in Übergröße) und tiefgründig ist Robert Gobers »Drain«, bei dem man einen Blick in den Spüle­-Ausguss riskieren kann. Zum Thema Bürokratie und Machtmissbrauch sind die filmischen Inszenierungen von David Rych und Franz Wanner – die die heutigen Migrationsumstände und Prozeduren bei der Einwanderung analysieren – ebenso erhellend wie verstörend. Und Sebastian Jung demonstriert mit einem überbordenden SammelsuriumsRaum – darunter ausgemusterte Schulbänke mit gar nicht antiquarischen Statements – (s)eine Adoleszenzkrise als Krise der Konsumgesellschaft.

Am Anfang zeigen Archivalien in einer Vitrine Kafka als Briefschreiber und Zeichner, als Leser und Bücher­-Verschenker. Das weitbekannte Zitat »ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns« des 21­-Jährigen erinnert daran: Welche sechs Bücher, und welche bis zu seinem Tod nicht Bücher gewordene Texte Kafka selbst schreiben sollte, wusste er damals noch nicht. Auch nicht, welche Wirkung dieser »kleine«, mit geringer Verbreitung zu Lebzeiten, und von wenigen geschätzte Schriftsteller weit über hundert Jahre lang ausüben würde mit seiner klaren Sprache und präzisen rätselhaften Sätzen. Davon zeugen heute die Werke dieser klugen, spannenden und nachhallenden Ausstellung. ||

KAFKA: 1924
Museum Villa Stuck | Prinzregentenstr. 60 | bis 11. Februar 2024 | Di–So 11–18 Uhr | 5. Jan./2. Feb. Eintritt gratis 18–22 Uhr | Rundgang mit der Kuratorin:10./24. Jan., 7. Feb., jew. 16.30 Uhr

Weitere Besprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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