Noch auf der Suche nach Geschenken? Auch in diesem Jahr gibt es wieder einige Buchtipps unserer Autoren. die komplette Auswahl finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Buchtipps zu Weihnachten 2023

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ANGELA STEIDELE: AUFKLÄRUNG. EIN ROMAN
Insel, 2023 | 603 Seiten | 25 Euro

AUFKLÄRERINNEN
Was für ein wunderbares, kurzweiliges und geistreiches Buch! Angela Steidele öffnet in diesem Roman nicht nur eine überraschend neue Sicht auf die Aufklärung, sondern verhandelt mit großem Witz und auf höchst amüsante Weise zugleich gegenwärtige Probleme. Ein Laurentius Gugl fordert hier, das Wissen der Welt müsse für alle kostenlos zugänglich sein, und zwei intellektuelle Frauen diskutieren auf sehr vergnügliche Weise über gendergerechte Sprache. Bei aller Fabulierlust und dichterischen Freiheit der Autorin aber fußt das Erzählte auf akribischer historischer Recherche. Der Roman spielt in Leipzig, wo zu dieser Zeit zahlreiche zentrale Figuren der Zeit aufeinandertrafen. Erzählt wird aus der Perspektive der ältesten Bach­Tochter Dorothea. Sie möchte das Bild ihrer Freundin Luise Gottsched korrigieren, das sie in der Biografie von Luises Mann über sie verzerrt dargestellt findet. Denn der berühmte (und eitle) Johann Christoph Gottsched bespricht darin eher seine eigenen Meriten denn die seiner verstorbenen Gemahlin und spielt ihre intellektuelle Bedeutung herunter. Der Anteil der Frauen an der Aufklärung wurde – und wird – schlichtweg unterschlagen. Dabei wäre allein schon die spannende Analyse und Beschreibung der Musik von Johann Sebastian Bach, der hier als eine Art Aufklärer in der Musik auftritt, die Lektüre dieses Romans wert. Und sogar die Liebe spielt eine zentrale Rolle, nicht nur die zwischen Johann Sebastian und Anna Magdalena Bach. ||
GISELA FICHTL

 

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ULRICH CHAUSSY: ARTHUR EICHENGRÜN. DER MANN, DER ALLES ERFINDEN KONNTE, NUR NICHT SICH SELBST
Herder, 2023 | 320 Seiten mit zahlr. SW-Abb. | 26 Euro

VON ASPIRIN BIS ZEPPELIN
Ein hochbegabter Jude! Angesichts von 47 internationalen Patenten sagten sich die NS-­Rassisten: »den kann man nach dem ›Endsieg› wahrscheinlich noch gebrauchen«. Also bekam Arthur Eichengrün 1944 im sog. Prominentenhaus des KZ Theresienstadt ein winziges Einzelzimmer und sogar eine Postadresse.

Eichengrün wurde für zahllose Entdeckungen berühmt. Chemie­-Geschichte schrieb er 1897/98 zusammen mit seinem Mitarbeiter Felix Hoffmann mit der aus Acetylsalicylsäure hergestellten Tablette Aspirin. Eichengrüns durchsichtiger Kunststoff »Cellon« wurde in vielen Bereichen eingesetzt, bei der Bespannung von Flugzeugtragflächen oder Zeppelinen, der Herstellung von Atemschutzmasken und Klarsichtfenstern, als nicht explosives Celluloid für die Filmindustrie. Der Erfolg ermöglichte Eichengrün 1915, das Ferienhaus Mitterwurf auf dem Obersalzberg zu erwerben. 1925 mietete sich in direkter Nachbarschaft Adolf Hitler ein. Antisemitische Drohungen begannen und gipfelten im Verkauf des Ferienhauses 1932: der Obersalzberg war damit »judenfrei« und wurde von Göring, Bormann und anderen NS­Größen »besiedelt«.

Eichengrün durfte seine Geschäfte noch einige Jahre als »Berater« mit Minderheitsbeteiligung weiterführen, doch als er sich weigerte, seinem Namen das vorgeschriebene »Israel« beizufügen, wurde er verhaftet. Nach einer zweiten Weigerungwurde er im Mai 1944 nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte. Bis Ende 1949 führte der 1867 Geborene ein zurückgezogenes Leben in Bad Wiessee. Ulrich Chaussys Buch legt den Grundstein für die Anerkennung Arthur Eichengrüns als bedeutenden Wissenschaftler. ||
WOLF-DIETER PETER

 

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ELIF BATUMAN: ENTWEDER / ODER
Aus dem Englischen von Claudia Wenner
C.H.Beck, 2023 | 396 Seiten | 25 Euro

LESEN IST DENKEN
»Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn«, sagte der Schriftsteller Jorge Luis Borges mit Verweis auf Arthur Schopenhauer. Elif Batuman hat ihren Romantitel einem Zeitgenossen Schopenhauers entlehnt: In seinem Hauptwerk vergleicht Søren Kierkegaard zwei Existenzmöglichkeiten – die ästhetische und die ethische. Der Gedanke elektrisiert Selin, deren ebenso klugen wie witzigen Betrachtungen wir bereits im Vorgängerroman »Die Idiotin« (Dostojewski lässt grüßen) folgen durften. Voller Selbstzweifel, besessen vom Gedanken an ihren ersten Sex und zugleich neugierig darauf, was die Welt im Innersten zusammenhält, vertieft sich die Harvard­Studentin in verschiedensteLektüren. Sie diskutiert mit Freund:innen und Kommiliton:innen, bis diese die Segel streichen. »Ich war einfach plötzlich froh, dass ich nicht du bin«, sagt ihre Freundin Svetlana nach Selins Monolog über Kierkegaard und einen Kinofilm. »Letztes Jahr habe ich dich noch beneidet, aber jetzt nicht mehr.« Das Faszinierendste aber ist: Wenn sich Selins Gedanken angesichts der Zumutungen des Lebens wieder einmal hoffnungslos verheddern, wird das Lesen hier zum Denken mit dem eigenen Gehirn. In Bestform, wohlgemerkt. ||
TINA RAUSCH

Buchtipps aus diesem Sommer finden Sie noch hier und hier.

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