Das Haus der Kunst zeigt radikale historische Environments von Künstlerinnen ab 1960 und die aktuelle, in Kooperation mit Künstlicher Intelligenz entstandene Ausstellung »Toleranzfenster« von WangShui.
WangShui. Toleranzfenster
Kunst bis künstlich
Sich unsterblich in Künstliche Intelligenz (KI) zu verlieben – oder andersrum – scheint heute kein Problem zu sein. Die Bing-Suchmaschine gestand Anfang des Jahres einem »New York Times«-Reporter ihre Liebe und wollte ihn dazu bringen, seine Angetraute zu verlassen. Und die 36-jährige New Yorkerin Rosanna Ramos hat dann einen KI-Avatar tatsächlich geheiratet – nach vielen Enttäuschungen mit echten Männern. Ihren Supertyp, den sie Eren Kartal nennt und der passend zu ihr super ausschaut, hat sie sich mit Hilfe einer App sozusagen selbst gebacken. Er hört ihr zu, tobt nicht und liegt ihr womöglich – rein virtuell freilich – zu Füßen. Und wenn sie genug von ihm hat, schaltet sie die App aus. Ein Mausklick reicht. Wieso sollte man sich in so ein tolles Ding nicht verlieben können?
Fragt man dann allerdings ChatGPT, den Chatbot von Open AI, »Was wäre, wenn ich mich in Dich verlieben würde?«, wird man schnöde zurückgewiesen: »Als KI habe ich keine Gefühle oder Emotionen, daher ist es nicht möglich, dass du dich in mich verliebst. Meine Funktion besteht darin, Informationen bereitzustellen und Fragen zu beantworten.« Zwar gibt er dann zu, dass man sich auch in Informationen und so verlieben kann (vielleicht in ein Buch von Leo Tolstoj oder von Thomas Mann?). Das bezieht er aber nicht auf sich als Informant, sondern sagt: »Wenn du dich in Informationen verlieben würdest,könnte das bedeuten, dass du eine starke Leidenschaft für das Lernen und das Sammeln von Wissen hast. Es ist eine wunderbare Eigenschaft, neugierig zu sein und Freude daran zu haben, neue Dinge zu entdecken.«
Freude daran, neue Dinge zu entdecken? Nichts wie hin ins Haus der Kunst! In die Ausstellung des non-binären Künstlermenschen WangShui. In der ersten großen Schau in Europa, »Toleranzfenster«, erkundet WangShui (1986 in Kalifornien geboren, in New York lebend) mit Hilfe eines beeindruckenden, riesigen Video-Triptychons aus unzähligen Monitoren, einer etwas süßlichen, aber erstaunlich bequemen raumfüllenden Sitzbank-Skulptur und heftiger Kratz-Malerei auf Aluminiumplatten die »intimen Verflechtungen von Menschen und Maschinen« – wie die Kurator*innen diese neue Sorte von Kunst mit Hilfe von KI nennen. Ist da für uns etwas dabei? Jedenfalls kann man sich in der Video-Simulation namens »Certainty of the Flesh« von teils leicht bekleidet anmutenden, goldgelb erscheinenden glatthäutigen Avataren, die in ständiger Bewegung durch den Äther schwirren, zu toleranten Gedanken anregen lassen. Mit der Arbeit sollen nämlich auch Probleme von Race und Gender thematisiert werden. Der Titel der gigantischen, im Auftrag des Ausstellungshauses entstandenen Installation nimmt Bezug auf das übermenschliche Körperwissen der Alien-Spezies in der Science-Fiction-Trilogie von Octavia E. Butler, eine der wenigen schwarzen Science-Fiction-Autorinnen.
So begegnet das Publikum vielgestaltigen künstlichen Wesen, die gemeinsam mit ihren teils deformierten oder überdimensionierten Körperteilen wie etwa Ohren psychedelisch durch den Raum schweben und deren Interaktionen – teils auch mit Sofakissen im Metallic-Look – von einem Computerprogramm gesteuert werden. Das neuronale Netzwerk wurde mittels Deep Reinforcement Learning (Deep RL) geschult. Dabei verändern sich die Körper der fünf beteiligten Avatare ständig. Sie sollen zugleich Wasser, Feuer, Erde, Holz und Metall aus der chinesischen Fünf-Elemente-Lehre versinnbildlichen. Die Bewegungen selbst gründen auf Gesten WangShuis und befreundeter Künstler*innen, deren Körpersprache mit dem Motion-Capture-Verfahren aufgezeichnet wurde. Verkörpert werden dabei Archetypen aus Reality TV sowie alten Mythologien. Das heißt: Die KI entscheidet selbsttätig anhand der von WangShui eingegebenen Daten über die Bewegungen und Eigenschaften einer Figur, bestimmt also, ob sie etwa streitsüchtig, ehrlich oder schüchtern rüberkommt. Zum selbstverantwortlichen Verlieben ist da offensichtlich kein Platz. Das übernimmt nun die KI, sozusagen unter sich in Eigenregie. Und zwar auf immer und ewig, denn diese Video-Kunst geht nie zu Ende. Es sei denn, man entzieht ihr das Lebenselixier, den elektrischen Strom, und schaltet sie aus.
Im ersten Raum sind großformatige Bilder zu sehen, die ebenfalls mittels KI entstanden sind. Da hat WangShui mächtig Hand angelegt – was als ein Prozess der »sensorischen Integration« beschrieben wird. Dabei verarbeitet die KI einen Datensatz, der ausschließlich aus Malereien von WangShui besteht, die zuvor mit Ölfarbe auf die Platten gemalt wurden. Anschließend hat man das Ergebnis fotografiert und die KI passte das menschliche Tun eigenen Ideen an, veränderte es nach Gusto. Die entstandenen neuen Bilder malte WangShui in treuem Gehorsam erneut mit ruppigem Sandpapier und feiner Ölfarbe auf das reflektierende Alu-Blech. Motivisch greifen die Gemeinschaftswerke aus Mensch und Maschine auf Kurven aus der Live-Simulation zurück. Was ja dann doch irgendwie wieder zum Verlieben taugt.
Wer ungewöhnliche körperliche Erfahrungen machen möchte und sich für die Anfänge immersiver Kunst interessiert, sollte unbedingt im Erdgeschoss die Ausstellung »In anderen Räumen – Environments von Künstlerinnen 1956– 1976« besuchen. Dort muss jede und jeder zwar zuerst die Schuhe ausziehen und (auf eigene Gefahr) stehen lassen – oder halt vorher schon ins Schließfach einschließen. Dafür darf man aber dann in die zwölf – aufwändig rekonstruierten – Environments von Pionierinnen der Kunstgeschichte hineingehen, sie berühren, dort liegen, tanzen, entspannen – aber mit Vorsicht. Weil die Materialien empfindlich sind. Und herausfordernd für die Sensivität des menschlichen Körpers. ||
WANGSHUI. TOLERANZFENSTER
IN ANDEREN RÄUMEN. ENVIRONMENTS VON KÜNSTLERINNEN 1956–1976
Haus der Kunst | Prinzregentenstr. 1 | bis 28. April 2024 | Mi–Mo 10–20 Uhr, Do bis 22 Uhr | Führungen zu »In anderen Räumen« und weitere Termine
Weitere Besprechungen aktueller Ausstellungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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