Facetten jüdischer Kultur: Das Kunstfoyer der Versicherungskammer zeigt 200 beeindruckende Aufnahmen des französischen Fotografen Patrick Zachmann, der sich auch weltweit der Erinnerung an Gewaltherrschaft widmet.

Patrick Zachmann

Fotografische Identitätssuche

patrick zachmann

Ein chassidisches Ensemble spielt auf – Patrick Zachmann: »Orchestre hassidique, salle Gaveau, Paris, 1981« | © Patrick Zachmann/ Magnum Photos

Berühmt wurde der französische Magnum-Fotograf Patrick Zachmann mit seinen Fotoreportagen über die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking im Jahr 1989. 20 Jahre später produzierte er dann auch noch einen Film über die »Generation Tian’anmen«, um an den Jahrestag des auf die Proteste folgenden Massakers zu erinnern. Der Platz wurde nach Verhandlungen zwischen Militär und Studenten zwar friedlich geräumt – aber in anderen Teilen der Stadt verloren (laut Amnesty International) Tausende ihr Leben. Darum geht es in der schönen und nachdenklich stimmenden Ausstellung Zachmanns im Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern aber nur am Rande.

Unter dem Titel »Voyage de mémoire – Erinnerungsreisen« illustriert der 1955 in Paris in eine jüdische Familie geborene Zachmann sozusagen seine Suche nach sich selbst in Fotografien. Irgendwann fragte er sich nämlich, ob man denn Jude sei, wenn man seine Geschichte, Religion und Kultur nicht kennt. Denn seine Eltern schwiegen – wie so viele andere. Über seine Vorfahren hatte er so gut wie nichts erfahren. Sein Vater, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden, war wortkarg. Die Mutter hatte auch jene Familienbande gekappt, die sie an ihre sephardische jüdische Geschichte erinnern konnten. Denn sie wollte einfach nur ein ganz normales – heute würde man das womöglich mit »integriert« apostrophieren – schönes »Pariser Leben« führen.

So gesehen wundert es auch nicht, dass Zachmann sich lange weigerte, Auschwitz zu besuchen. Bereits 1981 hatte Zachmann in Jerusalem an der ersten Zusammenkunft von Shoah-Überlebenden aus aller Welt teilgenommen.

Seit den 70er Jahren erregte er mit umfangreichen Fotoreportagen über das Leben der Juden in Frankreich international Aufmerksamkeit. Er fing unterschiedliche Facetten des französischen jüdischen Lebens ein: von Paris bis Marseille, von orthodox bis nicht religiös, vom letzten Schriftsetzer der kommunistischen, in jiddischer Sprache erschienenen Tageszeitung »Naye Prese« bis zu den Textilgroßhändlern im Pariser Sentier-Viertel. Ein besonders schönes Kapitel widmet sich Spaziergängern in der pittoresken, unvergleichlichen Kunstlandschaft des Pariser Parc des Buttes-Chaumont. Dort porträtierte Zachmann im Herbst 1983 eine Gruppe zumeist aus Polen stammender Flaneure. Sie unterhielten sich auf Jiddisch über die alten Zeiten, als sie Schneider, Ledergerber oder Marmorschleifer waren. Der zurückhaltende Zachmann hatte sie freilich nicht nach ihren Namen gefragt. Einige konnten jedoch zwischenzeitlich von der Historikerin Alice Davy identifiziert werden.

Er fragte sich, warum er das eigentlich gemacht hat. Und ihm dämmerte, dass er zeitlebens auf der Suche nach seiner eigenen Identität gewesen war. Heute sagt der Nichtgläubige, dass er auf einem langen Umweg zu sich selbst gekommen sei. Er habe sich zuerst mit der sichtbaren Identität der orthodoxen Juden beschäftigt, dann mit den gewöhnlichen Juden in ihrem beruflichen Umfeld. Erstere waren für ihn soziologisch gut einzuordnen, bei den zweiten waren alle religiösen, sozialen, beruflichen Spuren des Judentums verschwunden.

Schließlich machte er sich dann auch auf die Suche nach seinen Verwandten mütterlicherseits. Ganz nahe im Großraum Paris entdeckte er Cousinen, Cousins, Großtanten. Diese gastfreundlichen, warmherzigen Sephardim erzählten von Traditionen und dem früheren Leben in Algerien oder Marokko. Teils befolgen sie strenge Gebote und alle Feiertage – und haben im Gegensatz zu Zachmann kein Identitätsproblem. Er spürte bei ihnen weder Tabus noch das für ihn belastende Schweigen seiner Eltern. Und sagt heute dazu, dass er den Umweg über seine Reportagen gehen musste, um sich mit seiner eigenen Familiengeschichte konfrontieren zu können.

Sehenswert wird die Schau aber auch durch die Bilder jenseits der fotografischen Autobiografie. Zachmann bringt den Holocaust in Zusammenhang mit anderen Völkermord-Geschehnissen. Neben Auschwitz-Birkenau widmete er sich dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda von 1994. Auf Vermittlung eines Überlebenden und Leiters des Vereins Ibuka, der sich auf die Erinnerungsarbeit der Juden im Hinblick auf die Shoah beruft, konnte er im Jahr 2000 Überlebende treffen und porträtieren. Auch der Staatsstreich in Chile 1973 beschäftigte ihn. Er wollte nach der Verhaftung Pinochets in London 1998 Opfer und ihre Eltern, Söhne und Töchter von Verschwundenen porträtieren. Da er mit den Ergebnissen unzufrieden war, machte er einen Film. Auch fotografierte er menschenleere Landschaften in der Atacama und Ruinen der ehemaligen Salpetermine Chacabuco, in der nichts darauf hinwies, dass die Militärdiktatur hier ihr größtes Gefangenenlager eingerichtet hatte.

Wie endet Gewaltherrschaft? Als er hörte, dass Nelson Mandela freigelassen werden sollte, reiste Zachmann 1990, ohne Auftrag, schnurstracks nach Südafrika, nahm in Pretoria protestierende Rechtsradikale auf – und vor dem Rathaus in Kapstadt schließlich eine riesige jubelnde Menschenmenge. ||

PATRICK ZACHMANN. VOYAGE DE MEMOÍRE – ERINNERUNGSREISEN
Kunstfoyer Versicherungskammer Kulturstiftung | Maximilianstr. 53 | bis 20. Aug. | tägl. 9.30–18.45 Uhr, Eintritt frei, keine Ticketbuchung erforderlich | Der Katalog in französischer Sprache kostet 40 Euro | Infotelefon: 089 21602244

Weitere Ausstellungskritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

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