Das Regieduo Greta Gerwig und Noah Baumbach ist das Traumpaar des amerikanischen Independent-Films und spätestens auf den zweiten Blick die Idealbesetzung, um mit »Barbie« aus einer Marke einen Film mit Zeitgeist zu machen. Sichten konnten wir den Film bis zum Redaktionsschluss leider nicht. Vor Gerwig und Baumbauch verneigen wir uns trotzdem!

Barbie

Pretty in Neonpink

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© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Der Abschlussball steht bevor. Das hässliche Entlein der Schule geht mit seiner Mentorin shoppen, um das perfekte Outfit zu finden, und es folgt ein Zusammenschnitt der Anprobe. Bis hierhin hält sich Greta Gerwigs Film »Lady Bird« (2017) an die Konvention einer der klassischsten Szenen im amerikanischen Highschoolfilm. Für die 18-jährige Christine jedoch folgt kein atemberaubendes Vorher-Nachher. Die Teenagerin hat einen Hang zu dramatischen Gesten, zottelige Haare und aktuell einen Gipsarm in Neonpink. Sie nennt sich nun Lady Bird. »Ja, das ist mein Taufname. Ich habe ihn mir selbst gegeben«, erwidert sie auf Rückfragen schnippisch.

Sie ist fest entschlossen, ihre Identität selbst in die Hand zu nehmen, obwohl sie noch gar nicht genau weiß, wer sie eigentlich ist oder sein will. »Ich will, dass du die beste Version deiner selbst wirst«, mahnt ihre Mutter bei der Anprobe. Lady Bird steckt gerade in einem rosa gerüschten Kleid und könnte einem John-Hughes-Film entsprungen sein, etwa »Pretty In Pink« mit der Teenie-Ikone der Achtziger, Molly Ringwald. »Was, wenn das hier schon die beste Version ist?«, fragt Lady Bird. Im entgeisterten Blick der Mutter liegen gleichzeitig Verachtung und Sorge.

»Lady Bird« ist Greta Gerwigs erste eigene Regiearbeit, für die sie zwei Oscarnominierungen erhielt. 2019 folgte die Romanadaption von Louisa May Alcotts 1868 veröffentlichtem »Little Women«, diesen Juli nun ein Spielfilm basierend auf der erfolgreichen Spielzeugpuppe Barbie. So manche Augenbraue ging in der Branche hoch, als 2020 bekannt wurde, dass Gerwig gemeinsam mit ihrem Partner Noah Baumbach am Drehbuch zu »Barbie« arbeitete und selbst Regie führen würde. Das Duo gilt seit nunmehr über zehn Jahren als inoffizielles Traumpaar des amerikanischen Independent-Films – ein Hochglanz-Blockbuster basierend auf einer Spielzeugmarke passt da erst mal gar nicht ins Bild.

Gerwig hatte sich nach einigen Auftritten in Mumblecore-Filmen und ihrem Durchbruch in Baumbachs Tragikomödie »Greenberg« (2010) zur Indiekönigin hochgearbeitet und galt zunächst als Baumbachs Muse, war aber von Anfang an Kollaborateurin, Ideengeberin und Seele seiner Filme. Bereits ab der zweiten Zusammenarbeit war sie auch jeweils am Drehbuch beteiligt und spielte weiterhin die Hauptrollen – etwa im mittlerweile zum Kultfilm avancierten »Frances Ha« (2013) und in »Mistress America« (2015).

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Traumpaar in Pink: Barbie und Ken sind seit 1961 zusammen © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved

Was Gerwigs und Baumbachs Perspektiven verbindet, ist der jeweils persönliche Zugang ihrer Filme. Noah Baumbach arbeitet seit seinem ersten Spielfilm »Der Tintenfisch und der Wal« (2005) meist autobiografisch entlang von Familiendynamiken – in dem Coming-of-Age-Drama verarbeitet er die Scheidung seiner Eltern, in »Gefühlt Mitte Zwanzig« (2014) die Midlife-Crisis eines Künstlerehepaars und in »Marriage Story« (2019) seine eigene Scheidung. Was sich in vielen anderen Filmen zu schweren Dramen verdichtet, macht Baumbach zu melancholischen und doch leichten Psychogrammen völlig alltäglicher und deshalb so nachfühlbarer Lebenssituationen, die verdeutlichen: Wenn man herausgefunden hat, wer man als Erwachsener sein möchte, stellen sich schlichtweg neue existenzielle Fragen. Wenn etwa die 27-jährige Frances Ha, eine Tänzerin am Hungertuch, feststellt, dass ihre beste Freundin Sophie sich weiterentwickelt hat und ohne sie zurechtkommt, scheint sie gerade den Test zu durchlaufen, den Roger Greenberg im selben Alter nicht bestand: Er versaute eine Karriere im Musikgeschäft und blieb perspektivlos stehen – »Greenberg« zeigt ihn als ziellosen Vierzigjährigen. Selbstfindung, Selbstgenügsamkeit und In-sich-Ruhen sind auch in Gerwigs Filmen enge Verwandte.

In »Little Women« folgt sie damit einem klugen Feminismus, der niemanden ausgrenzt. Die March-Schwestern sind Nachbarn des reichen Mr. Laurence und seines Enkels Teddy. Gerwig inszeniert diesen Frauenhaushalt als zwanglosen Freiraum, in den Gedanken, Wünsche und Träume genauso viel Platz haben wie künstlerische Gehversuche. Die Erzählerin des Romans, Jo March, darf hier ihre Theaterstücke schreiben und gegen die Ehe sein. Auch für Teddy scheint das Haus der March-Familie eine Erleichterung, auch wenn er sich noch nicht ganz sicher ist, ob er lieber einer von ihnen sein oder eine von ihnen heiraten möchte. Besonders gelingt es Gerwig, Jos Suche nach ihrer künstlerischen Identität nachzufühlen. Sie erzählt Alcotts Roman nicht chronologisch, sondern in wilden Sprüngen durch die Zeitebenen, wodurch die Grenze zwischen naturalistischer Erzählung und fiktionaler Überhöhung verwischt. Erzählt Jo die Familiengeschichte als Biografie oder als Roman? Wo hört die reale Person auf und wo fängt die Künstlerexistenz an?

Jo March befindet sich in einer Situation, wie Alcott und Gerwig sie auch erfahren haben: Die Entscheidung für die Kunst bedeutet immer auch finanzielle Unsicherheit und ein Anrennen gegen ein System, das genuin patriarchal ist. Gerwigs Film ist also in überhöhtem Maße eine übergeschichtliche Verortung der Rolle von Künstlerinnen in der Kunst und reflektiert die finanziellen wie gesellschaftlichen Hürden, denen Frauen sich stellen müssen – sowohl zu Alcotts Lebzeiten wie auch heute.

Indem Gerwig in »Lady Bird« und »Little Women« dem in Konventionen erstarrten und mit rosaroten Brillengläsern übertünchten Genre des Coming-of-Age-Films neues Leben einhaucht, seziert und verlacht sie die Absurdität der Jugend zugleich, ohne sich jemals über ihre Figuren zu erheben. Genau mit dieser Haltung macht sie aus fiktionalen Persönlichkeiten Menschen – neben Baumbachs lebensnaher Ernsthaftigkeit also beste Voraussetzungen, um das eingefrorene Zahnpastagrinsen von Barbie und Ken aufzuweichen. Bei ihr leidet die Plastikpuppe wie Baumbachs Figuren an akuter Realität: Der Senkfuß passt nun besser in Birkenstocks, und das Bilderbuchpärchen fragt sich, was an einer Übernachtung von Freund und Freundin eigentlich so besonders ist. Sie wenden Lady Birds Frage zum Guten, denn die Realität ist vielleicht nicht immer die beste, weil perfekte Version, aber die einzig wahre. ||

BARBIE
USA 2023 | Regie: Greta Gerwig | Buch: Noah Baumbach, Greta Gerwig | Mit: Ryan Gosling, Margot Robbie, Emma Mackey, Will Ferrell, Michael Cera u.a. | Spielfilm | 114 Minuten | Kinostart: 20. Juli | Website

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