Die Sängerin und Autorin Sophie Hunger gibt sich nicht zufrieden. Daraus hat sie eine Kunst gemacht.

Sophie Hunger

Anspruch und Wirklichkeit

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Sophie Hunger, Sängerin, Poetin, gerne auch zwischen den Stühlen | © Nadia Tarra

In der gut sortierten Jazzabteilung des Münchner Traditionshauses Ludwig Beck am Rathauseck sind Schallplatten der gebürtigen Schweizerin Sophie Hunger ebenso zu finden wie in den Popabteilungen anderer Kaufhäuser oder Schallplattenläden. Für ihren Soundtrack zum französisch-schweizerischen Stop-Motion-Film »Mein Leben als Zucchini« wurde sie für den französischen Filmpreis César 2017 nominiert. Ferner haben gut informierte Fans sie längst auch auf einem älteren Album der Züricher Avantgardistenvereinigung Superterz ausgemacht. Und mit ihren Schweizer Musikerkollegen Faber und Dino Brandão veröffentlichte sie Ende letzten Jahres das gemeinsam eingespielte Album »Ich liebe dich« (Two Gentlemen), ein in Mundart verfasstes Manifest der Leidenschaften.

Die Beteiligten begleiten sich darauf in wechselnden Formationen gegenseitig. Darüber hinaus hatte die seit Jahren in Berlin-Kreuzberg wohnende Allrounderin im letzten Jahr ihr neues Studioalbum »Halluzinationen« quasi live eingespielt. Weil sie nämlich nach einer entsprechenden Tontechnikerschulung in New York auf dem Vorgängeralbum »Molecules« viele Möglichkeiten elektronischer Musik ausgeschöpft hatte, um diese dann schon für die Tournee zum Album für eine Liveband neu zu arrangieren, waren ihre Spielregeln nun: keine Overdubs, alles live.

Sechs Mal in zwei Tagen haben Sophie Hunger und ihre Band darum in den legendären Londoner Abbey Road Studios das neue Album also am Stück eingespielt und aus den Aufnahmen dann das Album zusammengestellt. Bei einem weiteren Termin war der renommierte Londoner Producer Dan Carey mit im Team, der unter anderem auch mit Kate Tempest oder mit der Punkband Squid zusammengearbeitet hat. Und wieder gelingt Sophie Hunger, was sie seit ihrem ersten Album als Sophie Hunger schon 2008 schaffte: ein sperriges, forderndes Werk, das damals dann aber allen Marktgepflogenheiten trotzend den ersten Platz der Schweizer Hitparade erreichte. Gleichwohl sich die Multiinstrumentalistin auf jedem ihrer Alben musikalisch neu definiert, bleibt sie dabei unverkennbar Sophie Hunger. Und als solche lässt sie diesmal etwa der deutschen Frau im Song »Rote Beete aus Arsen« deutlich Kritik angedeihen: »Deutsche Frau, du bist ganz genau, wenn du deinen Käfig misst«, derweil sie Maria Magdalena, jene berühmte Prostituierte aus der Bibel also, die Jesus vor der Steinigung bewahrt haben soll, bittet, sich weniger um Jesus als vielmehr um ihre Schwestern zu kümmern.

Als Autorin, die im Übrigen auch schon eine eigene Kolumne in der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit« zu füllen verstand, hatte sie dann auch mit Blick auf die Line-ups der nächsten großen Rockfestivals in Deutschland in einem Gastbeitrag für den »Spiegel« heuer deutlich erklärt, warum Maria Magdalena sich lieber um ihre Schwestern kümmern sollte, denn nach Jahren des Dialogs und sympathischen, aber offenbar auch oberflächlichen Feuersalven der Solidarität, liest man als Frau und Musikerin in diesen Line-ups nichts anderes als die Botschaft: »Die Welt findet ohne Frauen statt. Ihr könnt jetzt nach Hause gehen oder kommen, um uns anzuhimmeln.« Gerade mal zwei Prozent Frauen hätte Sophie Hunger nämlich auf dem stolz angekündigten Festivalprogramm von Rock am Ring und Rock im Park 2022 entdeckt. Weil dieses Festival nach den pandemiebedingten Einbußen der ausgefallenen Festivals in den Vorjahren nun aber auch staatlich subventioniert ist, hätte sich Sophie Hunger gewünscht, solche finanzielle Förderung wäre mit der Bedingung verknüpft worden, auch mehr Frauen im Programm zu berücksichtigen: »Warum knüpft die Initiative Musik ihren Geldfluss nicht an Bedingungen? Will Olaf Scholz nur stolz auf seine 2,5 Milliarden ›Neustart Kultur‹ sein oder auch darauf, worin man sie investiert?«, schreibt sie im »Spiegel«. In einem Interview für den Hessischen Rundfunk bezeichnet Hunger den geringen Frauenanteil auf deutschen Festivals sogar als »eine Form von aktivem Ausschluss«. Und das, obwohl die Festivals nächstes Jahr mit Steuergeldern kofinanziert würden, die zur Hälfte ja auch von Frauen eingezahlt werden.

In anderen Ländern seien Festivals übrigens viel diverser aufgestellt, sagt die Wahlberlinerin, die auch noch eine Wohnung in Paris hat. Solche Diversität würde Festivals laut Sophie Hunger zum einen spannender machen, zum anderen würden damit auch Musikerinnen einem größeren Publikum zugänglich. Aus eigener Erfahrung weiß Hunger nämlich: »Festivalshows sind oft nicht das Resultat einer Karriere, sondern Teil ihres Beginns.« Auch sie sei schließlich auf Festivals erst sichtbar geworden, in Montreux zum Beispiel, oder auf dem Haldern Pop Festival. Bevor sie das erste Mal beim »Heimatsound« in Oberammergau aufgetreten war, spielte sie in München auf kleineren Bühnen wie der des Vereinsheims. Danach füllte die Frau, die mittlerweile auch den britischen Progrocker Steven Wilson zu ihren Fans zählen darf, auch größere Hallen. Und geht ihren selbstbewussten Weg des kritischen, nachdenklichen Pop. ||

SOPHIE HUNGER
Muffathalle | Zellstr. 4 | 7. Dezember | 20 Uhr
Tickets: 089 54818181

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