Wer bin ich und warum? Darauf hat Yasmina Reza in »James Brown trug Lockenwickler« keine Antwort, aber Verständnis für jede Identität.

James Brown trug Lockenwickler

Wer bin ich und warum?

james brown trug lockenwickler

Philippe und Jacob (Johannes Nussbaum, Vincent zur Linden) | © Sandra Then

Ein Junge schwingt auf einer Schaukel. So beginnt die Uraufführung von Yasmina Rezas neuem Stück »James Brown trug Lockenwickler«, die Philipp Stölzl inszenierte. Die 63-jährige Französin ist seit »Der Gott des Gemetzels« die meistgespielte Dramatikerin der Gegenwart. Ihr jüngstes Werk ist jedoch keine bissige Salonkomödie, sondern eine zart-fantastische Reflexion über Identitäten und Geschlechterrollen, über Einsamkeit, Freundschaft und bürgerliche Hilflosigkeit gegenüber queeren Menschen. Komisch und skurril, melancholisch und poetisch. Philipp Stölzl, als Regisseur im Film (»Der Medicus«) so erfolgreich wie auf Opern- und Theaterbühnen (»Das Vermächtnis« am Resi) setzt diese Melange mit großartigen Schauspielern in schwebend-surreale Leichtigkeit um.

Stölzl entwarf auch das Bühnenbild, ein Halbrund aus roten und grünen Vorhängen begrenzt die Drehbühne. Links ragt eine halbe Riesenforelle herein, die ihrer Schwanzflossenhälfte rechts nachschaut. Magritte könnte Pate gestanden haben. Den Park einer psychiatrischen Klinik muss man imaginieren: »Kein Realismus«, hat Yasmina Reza verfügt. Hier haben die ratlosen Eltern ihren halbwüchsigen Sohn Jacob einquartiert. Er glaubt seit der Kindheit, die Sängerin Céline Dion zu sein und identifiziert sich vollkommen mit ihr. Vincent zur Linden beherrscht grandios die Allüre einer fragilen, empfindlichen Künstlerin, ob im Bademantel oder Jogginganzug. Ein meterlanger blauer Schal umweht ihn. In der Klinik hat er einen Freund gefunden: Philippe, der sich für einen Schwarzen hält. Johannes Nussbaum spielt einen schüchternen, bleichen Jungen in kurzen Anzughosen, der offenbar keine Angehörigen hat. Ihre Freundschaft ist zärtlich und leicht homoerotisch. Sie diskutieren über Dion und Nelson Mandela, die fiktiven Identitäten stehen außer Zweifel. Philippe will einen Feigenbaum aus dem Blumentopf in den Klinikpark umpflanzen und kettet sich dort an dem »illegalen Einwanderer« fest. Das weckt Sklaverei-Assoziationen.

Regelmäßig besuchen Jacobs Eltern den Sohn. Michael Goldberg und Juliane Köhler bringen verzweifelte Komik ins Spiel: Der Vater pflegt selbstmitleidig seine Wehwehchen. Die Mutter übersteigert falsche Fröhlichkeit bis zur Hysterie, hopst peinlich wie ein Teenie zu einem Dion-Song des Sprösslings. Beide täuschen Verständnis vor und heucheln Akzeptanz, obwohl sie Jacob nur »geheilt« und »normal« wiederhaben wollen. Doch die Psychiaterin denkt nicht ans Therapieren, sie ermutigt zur Selbstbestimmung: »Sei, wer Du willst.« Lisa Wagner, nach 13 Jahren wieder am Resi, spielt sie staubtrocken und völlig schräg, demonstriert die Grausamkeit des Aschenputtel-Märchens an einem Glasschuh und saust wild auf einem Tretroller herum.

Jeder lebt in seiner Welt, auch das Klavier, das von selbst losspielt. Alles könnte tragisch sein, doch es bleibt luftig, leicht, offen in der Schwebe. Am Ende schwingt sich Jacob auf der Schaukel in die Höhe, sein Schal weht, unerreichbar für die Eltern, die ein gnädiger Nebel verschluckt. ||

JAMES BROWN TRUG LOCKENWICKLER
Residenztheater | 15. Juli | 19 Uhr | 16., 22., 25. Juli | 19.30 Uhr | Tickets: Tel. 089 21851940

Weitere Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren: