Das Queer Film Festival München geht mit einem umfangreichen Programm in das siebte Festivaljahr.
Queer Film Festival München 2022
Begehrenswertes Kino

Eine Straßengang der etwas anderen Art gibt es in »Please Baby Please« zu sehen | © Music Box Films
Achtung: Massive Verwechslungsgefahr! Schon im siebten Jahr gibt es in München das Queer Film Festival München (QFFM) und erst seit kurzem veranstaltet die Edition Salzgeber als Verleih vieler queerer Filme bundesweit ein Festival im September, also auch in München, das fast den gleichen Namen trägt. Es nennt sich Queerfilmfestival und zeigt eine Auswahl der Filme in ihrem Vertrieb, die im Laufe des Jahres regulär im Kino laufen.
Das QFFM, das dieses Jahr vom 11. bis 16. Oktober stattfindet, ist dagegen viel breiter aufgestellt, wird vom gemeinnützigen Verein Queer Culture e.V. geplant und ausgerichtet und bietet in diesem Jahr mit einem vielschichtigen Mix aus Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen so viele abendfüllende Programme wie noch nie: ganze 20! Darunter Spielfilme aus der ganzen Welt: aus Argentinien und Brasilien, den USA und Kanada, aus Japan, den Niederlanden, dem Kosovo oder aus Marokko. Viele dieser Filme werden es aus den verschiedensten Gründen nicht ins Kino schaffen. Doch es sind jede Menge sehenswerte dabei. So bereits der Eröffnungsfilm »El Houb« von Shariff Nasr. Er erzählt von Karim, einem erfolgreichen marokkanisch-niederländischen Geschäftsmann, der sich wie in einem Fiebertraum an sein Coming Out erinnert und an die vielen Vorurteile, denen er ausgesetzt war und ist, aber auch seine eigenen.
Der deutsche Film »Bulldog« handelt von einem jungen Burschen (Julius Nitschkoff), der das symbiotische Verhältnis, das er zu seiner Mutter unterhält, auch mit deren Geliebter teilen muss. »The Blue Caftan« der marokkanischen Regisseurin Maryam Touzani erzählt von einer traditionellen Schneiderei in der Medina von Salé, die prächtige handgefertigte Kleidung herstellt. Die bewundernden Blicke des Schneiderlehrlings für seinen Chef, der ihm in der Arbeit an den Stoffen fast zärtlich nahekommt, werden so sinnlich, dass sie der Frau des Schneiders nicht mehr entgehen können. In »Kanojo no sukinamonowa – What she likes« von Shôgo Kusano führt der heranwachsende Jun zwar schon eine selbstbewusste Beziehung mit einem erwachsenen Mann, aber sein eigenes, ambivalentes Begehren versteckt er weiterhin vor seinen besten Freunden – bis er in der Boy’s-Love-Manga-Abteilung einer Mitschülerin begegnet. Auch in »Petite Nature – Softie« des französischen Schauspielers und Regisseurs (»Party Girl«) Samuel Theis geht es um ein sensibles Thema rund um den 10-jährigen Johnny. Der Lehrer des mädchenhaft aussehenden Jungen mit langen blonden Haaren erkennt dessen Potenzial in der Schule und möchte ihn fördern. Doch Johnnys Zuneigung zu ihm droht schon bald die Grenze des Erlaubten zu sprengen.
Schwule Männer stehen ebenso im Zentrum wie lesbische Frauen. Sehr junge Menschen oder auch reife, oftmals geht es um das Dazwischen: Die Grenzen zwischen Hetero- und Homosexualität sind dabei fließend und die zwischen den Geschlechtern ebenfalls. So wird aus der Coming-of-Age-Geschichte dreier junger Frauen aus dem Kosovo in »La Colline où rugissent les lionnes – The Hill where the lionesses roar« ein rasanter, feministischer Gangsterfilm. Es gibt aber auch fantastisch-skurriles wie »Matar a la bestia – To kill the Beast« von Agustina San Martin oder mit »Neptune Frost« ein farbiges, kraftvolles Science-Fiction-Musical, das antikoloniale und ökofeministische Themen zu einem »queeren, afrofuturistischen Meisterwerk« verknüpft. Mit »Les cinq diables – The five Devils« hat Léa Mysius nach »Ava« ein weiteres Fantasy-Drama gedreht, das eine klare feministische Handschrift trägt.
Viele Filme im Programm sind abendfüllende Debüts und wurden von Frauen gedreht. Es gibt aber auch drei Kurzfilmprogramme: eines wurde vom ukrainischen Festivalteam »Molodist« kuratiert, eines fasst Filme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen, eines trägt den Titel »International Queer Mixtape«. Dazu gibt es die schräge Miniserie »Sort Of« und vier Dokumentarfilme: »Nelly & Nadine« des schwedischen Regisseurs Magnus Gertten erzählt anhand von Fotos, Briefen und Filmrollen von der belgischen Opernsängerin Nelly Mousset-Vos und der chinesischen Widerstandskämpferin Nadine Hwang. Beide lernten sich an Heiligabend 1944 im KZ Ravensbrück kennen und lieben und führten ein bewegtes Leben zwischen Venezuela und Brüssel. In »La dernière séance – Das letzte Kapitel« erzählt der Filmemacher Gianluca Matarrese von seinem Leben als jugendlicher Liebhaber von Bernard Guyonnet, einem Mann voller Geschichten und Geschichte. Transsexualität ist ebenso das Thema von »Framing Agnes«, einem Zwitter aus Spiel- und Dokumentarfilm, wie bei »Esther Newton made me gay« über die gleichnamige Pionierin der heutigen Gender- und Queer-Studies. Auch eine Mitternachts-Schiene gibt es unter dem Titel »Midnight Madness« mit »Huesera«, »Unidentified Objects«, einer abgedrehten Scifi-Komödie voller Musik von Juan Felipe Zuleta und »Please Baby Please«. Der Film der US-Amerikanerin Amanda Kramer ist eine ebenso queere wie knallbunte Überschreibung der »West Side Story«.
Nach der Halbzeit des Festivals diskutiert eine hochkarätige Jury die Frage, wo der queere Film in Deutschland heute steht. Moderiert von Lamin Leroy Gibba geht es insbesondere darum, was ein ›guter‹ Stoff für eine queere Verfilmung ist, nach welchen Kriterien sich Schauspieler:innen für oder gegen eine queere Rolle entscheiden und ob die aktuelle Forschung zu den Themen Queere Narrative, Gender und Racialized Bodies Einfluss auf die Arbeit der Filmemacher:innen hat. Am Ende verleiht die Jury zum ersten Mal den von ARRI Rental gestifteten QFFM-Jurypreis. Welcher der sieben Wettbewerbsfilme »Matar a la bestia«, »La colline où rugissent les lionnes«, »Neptune frost«, »Please Baby Please«, »Framing Agnes« und »The Blue Caftan« als Sieger hervorgeht, wird am Abschlusstag bekanntgegeben. ||
QUEER FILM FESTIVAL MÜNCHEN (QFFM)
11.-16. Oktober | City Kinos | Kristelli-Theater | Gasteig HP8 | Nahezu alle Filme werden im Original mit englischen Untertiteln gezeigt, fast alle sind FSK 18 | Website
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