Elsa-Sophie Jach durchbricht Goethes »Werther« punktuell mit Texten von Karoline von Günderode.
»Werther« am Residenztheater
Sch(l)uss unterm Gänseblümchen
Werther hat Konjunktur. In einer Zeit omnipräsenter Dauerkrisen scheint der ichbesoffene Ego-Shooter, der so unrettbar in und um sich selbst kreist und kaum ein Außen wahrnimmt, so etwas wie das Gegenmodell der Stunde. Nach Cosmea Spellekens viel beachteter Internetinszenierung »werther.live« als Echtzeit-Countdown via Social Media bringt ihn die künftige Hausregisseurin des Residenztheaters Elsa-Sophie Jach dort nun noch einmal ganz analog auf die große Bühne – als charismatisches Beinahe-Solo von Johannes Nussbaum mit weiblich-musikalischer Assistenz vor monumentalem Blümchenprospekt. Ein androgynes Emo-Wesen mit weiß-blauer Fransenperücke, Riesenschleife und bunten Patchwork-Clowns-Hosen (Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlović) ist dieser Werther, der sich auf seiner geblümten Spielwiese zu einem flattrigen Neurosenschmetterling entfaltet. Rechts und links fächeln ihm Bettina Meier (Bassklarinette) und Sarah Mettenleiter (Synthesizer, Klavier) in goldenen Engelsperücken akustische Abkühlung zu, die Max Kühn und Roman Sladek als eine Art Techno-Set mit sanft treibenden melodischen Skalen, aber ohne Beat konzipiert haben.
»Ich bin allein! Ich bin so glücklich«, ruft Nussbaum anfangs wie ein Mantra überschwänglicher Selbstgenügsamkeit, nicht ohne zuvor schon hemmungslos übertrieben mit dem Publikum geflirtet zu haben. Das verhängnisvolle Liebesdreieck mit Lotte, deren Verlobten Albert und dem Abgrund, der sich darin auftut, formt er dafür ganz aus sich selbst und der Sprache heraus in einer präzisen, oftmals gegen den Strich akzentuierten Diktion. Nur anschubsen darf ihn zwischendurch mal die nette Pianistin – »Steffi, wenn du gerade nicht musizieren musst – aber nicht zu doll!« – bei einem letzten Schaukelflug, angeschnallt mit gelben Gurten auf silbernem Glitzersitz. Mehr und mehr lässt Jach ihre Inszenierung in ein buntes Popdelirium mit vereinzelt klaffenden schwarzen Löchern abdriften. Nussbaum dabei zuzusehen und zuzuhören, wie er sich, inzwischen umgezogen in einem ähnlichen Outfit in Grellgrün, unbeirrbar immer weiter in sein Liebesphantasma hineinsteigert bis zum finalen Befreiungsschuss unter einem aufblasbaren Gänseblümchen, ist ein feines, leicht eskapistisches Vergnügen.
Gerahmt und punktuell durchbrochen haben Jach und ihre Dramaturgin Constanze Kargl Goethes »theatralischen Leichtsinn« (so auch der Untertitel des Abends), in den sich das Sturm-und-Drang-Genie aus einer Depression über den Suizid einer 17-Jährigen mit dem »Werther« in der Tasche flüchtet, mit Gedichten und keineswegs unpolitischen Betrachtungen der Dichterin Karoline von Günderode (1780–1806). Getrieben von unbändigem Freiheitsdrang und verstrickt in eine komplizierte Liebesbeziehung zu dem verheirateten Philologen Friedrich Creuzer, erdolchte sich die Sappho der Romantik im Alter von 26 Jahren am Rheinufer. Ein Dialog auf Augenhöhe oder gar eine Konfrontation zwischen literarischer Figur und realer Person als Verfechterin eines früh emanzipatorischen Lebensentwurfs wird daraus zwar nicht, eher ein Verschwimmen der beiden Stimmen ineinander, von denen die leisere der Günderode keineswegs die schwächere ist. ||
WERTHER
Residenztheater | 18. Juli | 20 Uhr
Tickets: 089 21851940
Weitere Theaterkritiken finden Sie in der kompletten Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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