Philipp Arnold implantiert den Krieg in der Ukraine in Erich Kästners »Fabian«.

Fabian oder: Der Gang vor die Hunde

Handeln oder Untergehen?

fabian

Anton Nürnberg und Silas Breiding | © Arno Declair

Es gibt etliche Sätze in Erich Kästners 1931 erschienenem Roman, die erklären, warum die Bühnen sich derzeit so um ihn reißen. »Die Dummheit wurde zur Epidemie« ist einer davon. Als passiver Beobachter einer aus den Fugen geratenden Welt könnte der Flaneur Jakob Fabian unser Zeitgenosse sein. In Philipp Arnolds Inszenierung von »Fabian oder: Der Gang vor die Hunde« im Münchner Volkstheater ist die Distanz, die die Titelfigur auch zu sich selbst einnimmt, die zentrale Regieidee. Silas Breiding und Anton Nürnberg spielen zwei Fabians, von denen immer einer im Hintergrund der Szene postiert ist oder im Livefilm auftaucht, der zu Arnolds Inszenierungen zwingend dazugehört. Wenn Nürnberg auf der Stahlbrücke, die in Viktor Reims Filmstudio-Bühnenbild die ganze Drehbühne überspannt, leibhaftig und in Farbe seine Cornelia kennenlernt, sieht man Nora Bohsung kurz darauf auf der Schwarz-Weiß-Leinwand mit Breiding kuscheln. Und Nürnberg schaut zu. Das irritiert, bis man das System dahinter verstanden hat. Aber auch generell fragt man sich bei der auf fünf Figuren reduzierten Fassung, was wohl Zuschauer sehen mögen, die das Buch nicht kennen.

Das Berlin der Weimarer Republik, in dem es keine Jobs gibt, Nazis in spe herumkraftmeiern und eine junge Juristin sich an einen schleimigen Filmproduzenten verkauft, wird in historischen Stadtansichten nur anzitiert. Dafür fluten sie den gesamten bühnenhimmelhohen Rundhorizont derart hektisch aneinandergeschnitten, dass die Spielszenen anfangs nur stolpernd hinterherkommen. Die Tragik hinter dem Selbstmord des bei Pascal Fligg falsch-fröhlichen Labude wie die des Schlusses sind gestrichen. In die klaffenden Lücken springen drei Auftragstexte von osteuropäischen Autoren. Sie bringen den Krieg ins Spiel, der bei Kästner nur als dunkle Ahnung über dem Geschehen schwebt. Die in der Ukraine geborene Maryna Smilianets in Form von zwei tagebuchartigen Berlin-Impressionen, die von einem Besuch als Touristin und einem als Flüchtende herrühren. Viktor Martinowitsch lässt ein belarussisches Dissidentenpaar mit dem Pauschalhass eines Ukrainers auf alle vermeintlichen Aggressoren kollidieren. Und bei der Litauerin Arna Aley gipfelt eine ziemlich durchgeknallte Fantasie in einem Monolog, in dem Nina Steils als rassistische bayerische Gottheit brilliert.

Lose andockend an Kästners Metapher vom »Wartesaal Europa« oder die Frage »Was tun?«, überfrachten die als Zwischenrufe gekennzeichneten Fremdtexte den brillant besetzten Abend und bremsen seinen finsteren Sog mehrmals aus. Schwerer aber wiegt ein Missverständnis: Fabian ertrinkt am Ende des Romans beim Versuch, ein Kind aus dem Fluss zu retten. Kästners lakonischen Schlusssatz »Er konnte leider nicht schwimmen« hat Smilianets durch den Appell »Bitte lernt schwimmen!« ersetzt, was so viel heißen soll wie: Handelt endlich, damit der Krieg in Europa ein Ende findet. Das passt weder zum Bild – das Kind rettet sich bei Kästner selbst – noch zur Ambivalenz des Wortes »schwimmen«. Als »Moralist« ist Fabian das Gegenteil eines Mitläufers; er kann nicht mit und oben schwimmen, die meisten anderen schon. Die Sache ist wie so oft ein wenig komplexer. ||

FABIAN ODER: DER GANG VOR DIE HUNDE
Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | 7., 30. Jan., 8., 10. Feb. | 19.30 Uhr | Tickets 089 5234655

Weitere Theaterkritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

Das könnte Sie auch interessieren: