Wo bleibt die Leichtigkeit im deutschen Kino? Nicolette Krebitz, Regisseurin von »A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe« hat darauf mehr als eine Antwort.

A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe

Das Geheimnis unbekannter Wege

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Nicolette Krebitz | © Joachim Gern

Der deutsche Film und die Leichtigkeit: Das ist keine einfache Beziehung. Warum fehlt dem deutschen Kino oft der französische Esprit, die Lust an der Konversation wie am Fabulieren sowie das Vagabundieren mit seinen Figuren?
Ich hatte nach meinem vorherigen Film »Wild« dieses Mal einfach Lust, etwas Spaß zu haben. »A E I O U« ist in meinen Augen eine romantische Räuberpistole und ja, ich habe mich vom französischen Kino aus den 1960ern und 1970ern inspirieren lassen. Bei aller Leichtigkeit haben diese Filme aber immer auch etwas über die Wirklichkeit erzählt, Bewegung und Widerspruch erzeugt. Und dazu gehörten oft Ganoven und das Ringen um die Liebe. In unserem Film verliebt sich ein sehr junger Mann in eine sehr viel ältere Frau. Ich empfinde das wie ein Spiel mit verschiedenen Boxen, die wir im Kopf haben, und die werden ordentlich durcheinandergeschüttelt.

Ist das nun eine neue Variante der alten »A Girl and a Gun«-Geschichte? Oder folgt Ihr Film nicht auch Godards Diktum, dass man keine »politischen Filme« machen, sondern »Filme politisch« machen soll?
Ja, das passiert bei »A E I O U« ganz nebenbei, und das ist Absicht. Wir wollten vor allem dem Kino eine Liebeserklärung machen.

Inwiefern ist Kino für Sie ein Sehnsuchtsort? Ich meine: Nicht erst seit der Corona-Pandemie oder dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat es das Kino schwer.
Für mich war das Kino immer schon ein Sehnsuchtsort, oft auch ein geheimer Ort, in dem ich – wie in der Liebe oder eben bei einem Verbrechen – einen Bund eingehe, der mir ganz außerhalb meiner eigenen Realität, Gefühle, Erkenntnis, Abenteuer und Glück verschafft. Es können ganz einfache, zärtliche Dinge entstehen oder es wird plötzlich total verrückt. Die Hauptsache ist, ich habe eine gute Zeit. »A E I O U« ist lange vor dem Ukrainekrieg entstanden. Wir haben aber als eine der ersten Produktionen in der Corona-Zeit gedreht, und ich hatte vor allem das Bedürfnis etwas Schönes herzustellen, Leichtigkeit und Freude zu verbreiten.

Frieda Grafe hatte über Klaus Lemkes leichtfüßiges Langfilmdebüt »48 Stunden bis Acapulco« geschrieben, es sei die »Wiedergeburt des amerikanischen Kinos aus dem Kopf eines 27-jährigen Deutschen«. Inwieweit lässt sich Ihr Film als »Wiedergeburt des deutschen Autorenfilms aus dem Kopf einer 49-jährigen Regisseurin« lesen? Hier bitzelt es, hier reiht sich Handlung an Handlung, hier wird nicht von vornherein alles auserzählt, sondern ein Geheimnis bewahrt.
Ja, da ist sicherlich etwas dran im Sinne von »Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt«. Es ist ein Spiel mit verschiedenen Bausteinen, von denen uns einige bekannt sind und andere noch nicht. Ich möchte im Kino gar nicht sofort wissen, wie die Geschichte ausgeht. Genauso wenig möchte ich dort zurzeit etwas streng Didaktisches sehen.

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Sie dachte, das würde ihr nicht mehr passieren: Anna und Adrian im Land der Liebe © Reinhold Vorschneider

Welche konkreten Bezüge gibt es zu Ihrem vorherigen Film »Wild« außer dem zentralen Akt der Liebe und der weiblichen Begierde?
Ich habe beim Blick zurück auf meine Filme entdeckt, dass ich ein Faible für unmögliche Liebesgeschichten habe: Entweder sind die Umstände unmöglich oder der Partner auf den ersten Blick eher ungewöhnlich. Dabei interessiert mich in erster Linie, was das bei meiner Protagonistin auslöst. Ich erfahre mehr über sie, wenn ich ihr auf unbekannten Wegen folge, anstatt sie mit einer vertrauten Normalität zu konfrontieren. Ihr Begehren interessiert mich, wen will sie haben und wo will sie hin. Das würde ich gern öfter im Kino sehen. Ich kenne selber viele Frauen, die 50, 60 oder 70 Jahre alt sind und sich nach wie vor verlieben, durchdrehen und sich ziemlich überraschend verhalten. Es ist schade und doch auch ziemlich langweilig, dass wir diese Geschichten so selten im Film, im Theater oder in der Werbung sehen. Dabei sind wir die Hauptkonsument:innen. Wir gehen ins Kino und gucken uns langweilige Geschichten über uns selber an. Das kann ja nicht so weitergehen.

Stimmt die Episode, dass Sie Ihren jungen Hauptdarsteller Milan Herms wirklich in der Sauna kennengelernt haben? Da sollen Sie zusammen mit der Schauspielerin Claudia Michelsen gewesen sein. Warum hat es gerade da bei Ihnen kurz Boom gemacht?
Ja, das war so. Ich habe Milan zum ersten Mal in der Sauna gesehen. Seine Schönheit hat mich sofort fasziniert. Er sieht manchmal aus wie ein Straßenjunge, und dann ist er wieder ganz weich und unschuldig wie ein Hundebaby. Wenn er spricht, merkt man seinen starken Willen und seinen Mut, sich auszuprobieren. Und genau so einen jungen Mann brauchte ich für meine Geschichte. Deshalb ging es nicht anders, Bademantel hin oder her, ich musste ihn in der Sauna ansprechen.

Obwohl er eigentlich gerade Film studiert. Er will offensichtlich selbst Regisseur werden.
Ja, und ich bin ganz gespannt auf seine eigenen Arbeiten, denn er ist wirklich besonders in dem, was er denkt und tut und lässt sich auch von niemandem reinreden. Das finde ich in seinem Alter echt bemerkenswert. Und da passt er eben auch sehr gut zu Sophie (Rois). Als ich die beiden das erste Mal zusammen spielen sah, war meine Entscheidung eigentlich gefallen. Er wollte ihr unbedingt imponieren und sie war ganz berührt davon. Das war sehr schön anzusehen.

Zugleich konnten Sie auch hinter der Kamera erneut ein starkes Team um sich scharen: Reinhold Vorschneider als Bildgestalter, Bettina Böhler als Editorin, Valeska Grisebach als dramaturgische Beratung.
Wenn man mit den Besten zusammenarbeiten kann, sollte man es tun (lacht). Reinhold Vorschneider ergänzt meine Arbeit auf großartige Weise. Er ist sehr genau und arbeitet wie ein Maler. Valeska Griesebach wiederum hat einen sehr zärtlichen Blick. Sie ist für mich ein Art Heilige, die mich immer bestärkt und nach vorne bringt. Und Bettina Böhler, die ja auch selbst Regisseurin ist, ist ebenfalls sehr genau darin, den Kern des Films herauszuarbeiten.

Ihre Zeit als It-Girl der späten 1990er Jahre liegt lange zurück. Sie haben einen Sohn und leben alleine. Im September werden Sie 50 Jahre alt. Worauf sind Sie heute besonders stolz?
Stolz spüre ich nur, wenn jemand an meiner Würde rüttelt, wenn mir jemand blöd kommt oder so. Ansonsten arbeite ich einfach weiter! Und manchmal halte ich an und frage mich, ob das alles überhaupt einen Sinn hat. Und daraus entsteht dann meistens schon wieder der nächste Film oder zumindest die nächste Idee. Film ist mein Leben und die Vorstellung davon ist mein Drive!

Ursprünglich wollten Sie nach »Wild« an einem Fantasystoff weiterarbeiten. Wie ist da der Status quo? Gibt es einen Arbeitstitel? Und wie lässt sich so eine Geschichte in Deutschland finanzieren?
Die endgültige Form für diesen Fantasystoff habe ich noch nicht. Ich hatte damit gleich nach dem Filmpreis für »Wild« begonnen, aber die Umsetzung ist kompliziert: Welche Figuren gibt es in dieser Welt? Welche Gesetze herrschen dort? Der Arbeitstitel lautet »Echo Hunter«, weil ich das auf Englisch schreibe. Es kann gut sein, dass das ein Anime wird. ||

A E I O U – DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE
Deutschland, Frankreich, 2022 | Regie: Nicolette Krebitz
Mit: Sophie Rois, Udo Kier, Milan Herms. Nicolas Bridet u.a.
104 Minuten | Kinostart: 16. Juni
Website

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