Hausregisseur Philipp Arnold inszeniert Molières »Der Menschenfeind (Le Misanthrope)« am Volkstheater.

Der Menschenfeind

Gefühl und Wahrheit

menschenfeind

Celimène (Anne Stein) und Alceste (Janek Maudrich) © Arno Declair

Irgendwas hat hier eingeschlagen, vielleicht schon vor langer Zeit. Die Wände dunkel verrußt wie nach einer Explosion, schwarzes Konfetti schwirrt in der Luft, und im Gegenlicht steht noch der Rauch, durch den allmählich vereinzelte Gestalten in glänzender Abendgarderobe (Kostüme: Julia Dietrich) sichtbar werden, wie Zombies, die zu unhörbarer Musik wieder zu tanzen beginnen. Doch der Krieg, der diese Spuren hinterlassen hat, ist keiner, der auf den Straßen tobt, sondern in den Köpfen und Herzen, und es geht dabei nicht um Profite und Territorien, sondern um Gefühl und Wahrheit. Der leere Raum, den Viktor Reim hier so pur und schmucklos zum Schlachtfeld der Eitelkeit macht, ist zugleich auch eine Bühne mit Rampe und Portal, auf der sich alle andauernd im Selbstdarstellungsmodus befinden, auf der Jagd nach 15 Sekunden Aufmerksamkeit und Glanz, um die innere Leere zu überdecken, und sei es nur durch offensichtliche Lobhudelei. Allein Alceste, der melancholische Held in Molières wohl persönlichster Komödie »Der Menschenfeind« aus dem Jahr 1666, ist als Dichter ein schonungsloser Wahr-Sager, einer, der nicht schmeicheln kann und will. Gerade deshalb steht seine Wertschätzung in der Society hoch im Kurs, eine harte Währung, die sich nicht kaufen lässt und die Oronte, Politiker und Autor mittelmäßiger Verse, daher sogar vor Gericht einklagen will.

Verliebt ist Alceste ausgerechnet in das Gegenmodell zu seinen strengen Prinzipien, die gefall- und vergnügungssüchtige Célimène, ein umschwärmtes It-Girl, das es an Menschenkenntnis und hinterhältiger Scharfzüngigkeit zwar durchaus mit ihm aufnehmen kann, aber trotz Seelenverwandtschaft nicht bereit ist, sich auf sein Drängen hin aus der feudalen Schickeria in die ländliche Einsamkeit zurückzuziehen. Eine schmerzhafte Erkenntnis, mit der Alceste sich selbst konfrontieren muss – und die ihn schließlich allein zurücklässt.

Mit seinem durchweg engagierten jungen Ensemble und den schnellen Schnitten einer Showdramaturgie stürzt Hausregisseur Philipp Arnold sich in die Vivisektion dieser atemlosen Spaßgesellschaft, die zwischen Selbstgefälligkeit und gnadenloser Häme keinen Halt findet. Dabei wirkt Janek Maudrich als auftrumpfender Wahrheitsfanatiker Alceste manchmal ebenso unbedarft draufgängerisch wie sein dumpf dampfplaudernder Widersacher Oronte (Vincent Sauer) oder der geschmeidige Sparringspartner Philinte (Jan Meeno Jürgens), die allesamt in der ersten Reihe des Zuschauerraums auf ihren Einsatz warten. Anne Stein hält als Célimène mehr kühle Distanz und lässt im flackernden Wechsel zwischen aufgekratztem und erloschenem Charme den inneren Tribut aufscheinen, den dieser Präsenzkampf von jedem Einzelnen fordert. Dabei gäbe es in Molières bitterer Lebensbilanz noch viele vernarbte Wunden zu entdecken von selbstzerstörerischem Stolz und verzweifelter Einsamkeit, geht es doch um nichts weniger als um die Frage nach der Vereinbarkeit von Liebe und Wahrheit und welcher Preis an Ent-Täuschung dafür zu zahlen ist. Dieser tiefe Schmerz bleibt hier weitgehend außen vor und kann bei der jungen Besetzung vielleicht auch gar nicht so gravierend endgültig wirken. Wenn nach 100 Minuten alle ausgepowert wieder ins Dunkel zurücktanzen, hat man den Eindruck, nur Zeuge einer Runde in einem langen Kampf gewesen zu sein, der sich noch endlos weiterdrehen könnte. ||

DER MENSCHENFEIND (LE MISANTHROPE)
Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | 4., 13., 16. Juni, 12., 14. Juli | 19.30 Uhr | Tickets: 089 5234655

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