Nanni Moretti erzählt in seinem neuen Film »Drei Etagen« von Menschen, die im selben Haus wohnen – miteinander, gegeneinander, allein, vereint.

Drei Etagen

Römischer Mikrokosmos

drei etagen

Vittorio (Nanni Moretti), Dora (Margherita Buy), Giorgio (Adriano Giannini) und Monica (Alba Rohrwacher) vor ihrem Haus, als der verstorbene Nachbar vom Bestattungsinstitut abgeholt wird | © Happy Entertainment

Rom, ein gutbürgerliches Wohnviertel. Großzügige Mehrfamilienhäuser mit großen Fenstern, großen Türen, hohen Räumen, viel Licht, viel Luft, gepflegten Vorgärten. Es ist Nacht. Eine Frau steht auf der Straße. Eine andere verlässt das Haus. Plötzlich taucht ein Auto auf, rast durch die Straße, rammt die Passantin, kracht in die Glasbausteinwand im Erdgeschoss des Wohnhauses und bleibt dort im Arbeitszimmer des Architekten Lucio stecken. So beginnt Nanni Morettis neuer Spielfilm, in dem er in drei Kapiteln über ein Jahrzehnt von den Menschen erzählt, die auf drei Etagen unter einem Dach leben.

Nach diesem rasanten Einstieg wird der Film langsamer und leiser, wenn auch in keiner Weise undramatischer. Lucio (Riccardo Scamarcio) und seine Frau, die Anwältin Sara, leben mit der siebenjährigen Francesca im Erdgeschoss und im ersten Stock. Oft wird Francesca von dem älteren Ehepaar Giovanna (Anna Bonaiuto) und Renato (Paolo Graziosi), die auf derselben Etage wohnen, liebevoll betreut – bis Lucio der Verdacht befällt, der demente Renato hätte Francesca missbraucht. Tatsächlich kommt Lucio selbst der 15-jährigen Charlotte, Enkelin der Nachbarn, zu nahe, als diese sich ihm vehement an den Hals wirft. Renato stirbt nach einem Zusammenbruch, Charlotte zeigt Lucio an, das Klima auf der Etage wird giftig. Im zweiten Stock lebt Monica (Alba Rohrwacher) mit ihrer neugeborenen Tochter Beatrice, die in derselben Nacht geboren wird, in der der Unfall passiert. Ihr Mann Giorgio ist als Bauleiter selten zu Hause. Monica hat Wahnvorstellungen, die in Wellen kommen und gehen. Zunehmend entschwindet sie aus der Realität. Im obersten Stockwerk des Hauses wohnen Dora (Margherita Buy) und ihr Mann Vittorio (Nanni Moretti), beide sind Richter. Es ist ihr Sohn Andrea, der zu Beginn des Films betrunken den Unfall verursacht, der nicht nur das Haus erschüttert, sondern auch die Passantin mit Todesfolge rammt. Alle Anstrengungen der Eltern, den Sohn zu einer verantwortungsbewussten Person zu erziehen, sind offenbar gescheitert. Andrea (Alessandro Sperduti) verweigert jegliche moralische Einsicht, sein Vater verweigert ihm dafür jegliche juristische oder familiäre Hilfestellung, und so landet er im Gefängnis, zum großen Leid seiner Mutter Dora. Erst nach Vittorios Tod ist sie in der Lage, einen neuen Weg einzuschlagen.

Jede Familie in diesem Haus im nördlichen Rom hat ihre Unglücke, aber auch ihre heiteren Momente. Nach der Vorlage von Eshkol Nevos Roman »Über uns« erzählt Nanni Moretti, versiert in zwischenmenschlichen Abgründen, die Geschichte all dieser Menschen, die dem Zuschauer oft merkwürdig vertraut erscheinen. Moretti zeichnet die Protagonisten als fragile, verletzliche Personen, bleibt aber sorgsam in der Schwebe, höfliche Distanz, wird nie übergriffig. Das erlaubt dem Betrachter, selbst zu entscheiden, wie er seine Sympathien verteilt. Zwischen den Figuren existiert eine eigenartige Balance, alle sind gleich wichtig und präsent, auch wenn sie nicht immer im Bild sind. Das Mehrfamilienhaus ist eine Metapher für die Welt, in der wir leben, mit all ihren Widersprüchen und Unwägbarkeiten. In dem Maße, wie die Bewohner ihre jeweiligen Isolationen überwinden und Teil einer Gemeinschaft werden, werden sie offen für die Welt außerhalb ihrer vier Wände. Nach zwei Jahren Social Distancing zeigt Morettis Film, dass die Zeit gekommen ist, um die Nachbarn wieder einmal einzuladen, sich selbst bei ihnen an den Tisch zu setzen oder ein Fest zu feiern. Mit Tangomusik. ||

DREI ETAGEN (TRE PIANI)
Italien, Frankreich 2021 | Regie: Nanni Moretti | Buch: Nanni Moretti, Federica Pontremoli, Valia Santelli | Musik: Franco Piersanti | Mit: Nanni Moretti, Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Alba Rohrwacher u.a. | 117 Minuten | Kinostart: 17. März
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