Eine neue Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum widmet sich dem Thema Zeitzeugenschaft im Wandel der Zeit.

»Ende der Zeitzeugenschaft?«

Bewahren der Erinnerung

zeitzeugenschaft

Zeitzeugeninterview Max Mannheimer, 1998 | © Screenshot: NS-Dokumentationszentrum | © Haus der Bayerischen Geschichte, Regensburg

Seit einigen Jahren bahnt sich unweigerlich eine Zäsur der Erinnerungskultur an. Unvorstellbar, aber der Tag, an dem auch die letzten Zeitzeugenstimmen verstummt sein werden, rückt unweigerlich näher. Mit dem Verschwinden jener Stimmen droht auch die Erinnerung an all jene Toten zu verblassen, die selbst nie eine Möglichkeit hatten, von ihren Erfahrungen im Holocaust zu berichten. Mit diesem radikalen Einschnitt der Erinnerungskultur beschäftigt sich nun die Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums »Ende der Zeitzeugenschaft«.

Bis zum 14. November wird diese Schau in den Ausstellungsräumen des NS-Dokumentationszentrum zu sehen sein. Konzipiert wurde sie vom Jüdischen Museum Hohenems und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Für die Münchner Präsentation wurde die Schau um einige Aspekte und Perspektiven erweitert. In Interview-Ausschnitten sind Vertreter der bayerischen und Münchner Zeitzeugen und Zeitzeuginnen wie Max Mannheimer, Charlotte Knobloch, Henny Brenner und Gerty Spies zu sehen.

Die Ausstellung thematisiert die Traumatisierung der Überlebenden, oftmals auch deren langes Schweigen, angesichts von Desinteresse und Feindseligkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Sie nimmt aber auch eine bedeutsame Akzentverschiebung des Diskurses über Zeitzeugenschaft vor. Zentraler Anspruch der Schau ist eine Auseinandersetzung mit der »Gemachtheit« des Zeitzeugen-Interviews und seiner medialen Verbreitungsformen.

Bühnen der Erinnerungskultur

Die Rolle der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in der Gesellschaft befindet sich seit der Niederschrift erster Dokumente konstant im Wandel. So auch die technologischen Aufzeichnungsformen, die von Verschriftlichung über Audio-Dokumente zur Videoaufzeichnung bis zu digitalen Formaten und VR-Experiences reichen. Ein Anliegen der Schau ist es, das komplexe Verhältnis zwischen Zeitzeugenschaft und Gesellschaft auszuleuchten. Was eigentlich ist es, das die Gesellschaft von Zeitzeugen wissen möchte? Und welche Art von »Bühnen« stellt sie für ihre Wissensproduktion zur Verfügung? Interviews, wie die in der Ausstellung gezeigten, entstehen immer aus einer Interaktion – was nicht gefragt wird, dafür gibt es auch keine Antwort.

In Form eines reichhaltig illustrierten, mit Exponaten versehenen zeitgeschichtlichen Abrisses, der auch zentrale Ereignisse der Shoa-Aufarbeitung wie den Eichmann-Prozess in Jerusalem oder die Ausschwitzprozesse behandelt, bekommen Besucherinnen und Besucher u. a. auf zahlreichen Bildschirmen einen Überblick über die Historie des Zeitzeugengesprächs. Veranschaulicht werden dabei auch Aspekte wie Gesprächssystematik, Form der Niederschrift und die Verwendung von spezialisierten Fragebögen, welche Interview-Konventionen immer wieder prägten. Neben einer intellektuellen Durchdringung der Thematik ist den Kuratorinnen und Kuratoren besonders an einer Erfahrbarkeit der Ausstellung gelegen, insbesondere im Hinblick auf die neuen medialen Formen. Zum Ende des Rundgangs bietet die Schau reichlich Möglichkeiten, Erfahrung im Umgang mit aktuellen digitalen Erinnerungsformaten, die sich teilweise noch in der Entwicklung befinden, zu machen.

Zukunft der Zeitzeugenschaft

Die Herausforderung beschreibt Co-Kuratorin Dr. Ulla-Britta Vollhardt: »Wir haben uns hier in München ganz bewusst dafür entschieden, diese Projekte nicht nur anzusprechen, sondern für unsere Besucherinnen und Besucher erfahrbar zu machen. Die Diskussion über aktuelle und zukünftige Vermittlungsformate von Zeitzeugenschaft wird häufig auf einer Meta-Ebene geführt. Man redet über etwas, ohne es selbst ausprobiert zu haben. Und uns war wichtig, den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit zu geben, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen.«

Wer die Ausstellung »Ende der Zeitzeugenschaft« verlässt, ist in jedem Fall reich an Eindrücken. Hinsichtlich der Frage, wie eine Zukunft der Zeitzeugenschaft und das Bewahren der Erinnerung aussehen könnte, lässt einen die Schau ein wenig ratlos zurück. Was jedoch nicht als ein Makel zu verstehen ist. Den Ausstellungsmachern ist explizit daran gelegen, diese Frage offen zu halten. »Wir wissen heute noch nicht, was sich durchsetzen wird«, so Vollhardt, »aber was wir anhand dieser Ausstellung aufzeigen, ist, dass jede Zeit ihr eigenes Medium gefunden hat, um Zeitzeugenberichte zu vermitteln. Unsere Arbeit zielt nicht darauf ab, die Frage nach der Zukunft der Zeitzeugenschaft zu beantworten. Sie will vielmehr zeigen, was gerade diskutiert und entwickelt wird.« Die offenen Fragen dieser eindrücklichen Ausstellung sollten uns alle auf jeden Fall weiterhin beschäftigen. ||

ENDE DER ZEITZEUGENSCHAFT?
NS-Dokumentationszentrum München
Max-Mannheimer-Platz 1 | bis 14. November
Di–So 10–19 Uhr | Eintritt frei | öffentlicher Rundgang: 29. Aug., 5./12./19./26. Sept., 3./10./17./24./31. Okt., 7./14. Nov., jew. 10 Uhr; 10./17./24./31. Aug., 7./14./21./28./ Sept., 5./12./19./26. Okt., 2./9. Nov., jew. 17.30 Uhr (Anmeldung erforderlich unter: buchung.nsdoku@muenchen.de) | 22.9.: Online-Zeitzeugengespräch mit Ernst Grube | Informationen und tagesaktuelle Termine

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