Die Münchner Autorin Raphaela Bardutzky hat es ins Finale um den Förderpreis für deutschsprachige Dramatik geschafft.
Raphaela Bardutzky
Fliegen lernen mit frischen Fischen
Jede Sprache hat ihre eigenen Zungenbrecher. Im Deutschen gehört »Fischers Fritz fischt frische Fische« zu den bekanntesten. Genau den übt die polnische Pflegekraft Piotra auf der Reise zu ihrer ersten Stelle. Sie soll in Bayern einen alten Mann betreuen. Das ist der Fischer Fritz, dessen Dialekt sie nur mit Mühe versteht. Der hat sein Leben lang Fische gefangen, und weil Piotra Fisch gut zubereiten kann, akzeptiert der knurrige, wortkarge Alte sie allmählich. Sein Sohn Franz, der Friseur in der Stadt geworden ist, hat ihm die Pflegerin verschafft. Diese drei sind das Personal in dem Stück »Fischer Fritz« von Raphaela Bardutzky, das für den Heidelberger Stückemarkt nominiert war. Bardutzky gehört auch zu den sechs Finalist*innen des Wettbewerbs um den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik. Der wird am 26. Juni von den Münchner Kammerspielen vergeben, in einer Langen Nacht der neuen Dramatik. Das preisgekrönte Stück soll dann auch uraufgeführt werden.
Zum Fischgericht serviert Piotra aucheinen polnischen Zungenbrecher. Es wird viel Polnisch gesprochen in diesem Text, dafür hat die Autorin mit einer Übersetzerin gearbeitet, denn selbst beherrscht sie es nicht. Es könnte in einer Inszenierung auch eine andere osteuropäische Sprache sein, sagt sie. Ihr geht es um einen mehrsprachigen Klang, eine Art sprachlicher Klangkomposition. Theater braucht Raum und Musik, dann kann man alles machen. Das hat sie an der Bayerischen Theaterakademie gelernt. Nach dem Abitur war Raphaela Bardutzky, aufgewachsen in Germering, bereits Produktionsleiterin beim Film, arbeitete in München und Berlin, ehe sie einen Studienplatz für Dramaturgie an der Theaterakademie und bei Albert Ostermaier Schreibunterricht erhielt.
Wie schwer es ist, als junge Frau einen Platz am Theater zu finden, wurde ihr erst langsam klar. »Ich bin ausgebildet als Dramaturgin fürs Stadttheater«, sagt sie. »Aber ich bin einfach zu vielen schreienden und autoritären Regisseur*innen begegnet, als dass ich fest an so ein Haus gewollt hätte.« Trotz dieser Erfahrungen von Machtmissbrauch wollte sie fürs Theater schreiben. »Nach dem Studium mangelte es mir einerseits an Netzwerk und an einer soliden Ausbildung für den Schriftstellerinnenberuf. Andererseits war aber auch die große Theatertext-Skepsis in der hiesigen Theaterszene mein Problem. Diese rührte wiederum von den damals – durchaus berechtigten – Debatten um das postdramatische Theater und den Fragen nach der adäquaten Rolle von Autor*innen im Theater. Dass eine selbstständige Schriftstellerin ein ganz anderes Berufsprofil hat, musste ich erst lernen. Die Theaterwelt hatte nicht auf meine Texte gewartet.« Dennoch wurde Bardutzky 2017 für ihren Bühnenerstling »Der Wüstling« mit einem Literaturstipendium der Stadt München ausgezeichnet. »Das ist ein Stück über sexuelle Gewalt. Während des Schreibens entwickelte sich die Me-too-Debatte bis zu dem Punkt, an dem ich schon angelangt war. Das zu Ende zu bringen, war wahnsinnig anstrengend, plötzlich lief ich der Debatte hinterher.« Aufgeführt ist es bisher nicht, aber sie hat es viele Male öffentlich gelesen.
Aus der Einsicht, dass die Welt nicht auf einen wartet, sondern man selbst auf sich aufmerksam machen muss, entstand die Idee eines Zusammenschlusses. Gemeinsam mit Theresa Seraphin gründete Bardutzky 2016 das Netzwerk der Münchner Theatertexter*innen, eine Diskussionsplattform für zeitgenössische Dramatik. »Nur zu schreiben, das wäre schön«, bekennt sie. »Aber ich brauche andere, um drüber zu sprechen, ein Team, das den Text parallel lektoriert.« Das hat sie mit dieser Textwerkstatt geschaffen. Regelmäßig gibt es Zoom-Besprechungen mit den Kolleg*innen über die Texte: »Da muss man sich auch selbst einen Termin setzen. Und man merkt in der Diskussion blinde Flecken. Alle untereinander sind sehr schlau. Wir wachsen alle miteinander an der Arbeit, wir werden besser, weil wir uns pushen.«
Der neidlose kollegiale Austausch helfe ihr auch bei der eigenen Arbeit als Lektorin, Dramaturgin (zuletzt bei der Theaterserie »Münchner Schichten«) sowie beim Unterrichten von Theaterwissenschafts-Studenten im Schreiben für Film und Theater. Bardutzky kuratiert und moderiert die Lesereihe LIX im Theater HochX und kämpft gemeinsam mit ihren Kolleg*innen für gerechtere Autor*innenentgelte: »Wir stellen Forderungen auf, was eine faire Bezahlung wäre.« Selber hat sie davon derzeit noch nichts: »Ich arbeite Tag und Nacht und verdiene wenig.« Ihren Zweitling »Fischer Fritz« nennt sie »Sprechtheater« – es geht um Sprechen als Performance. Deshalb auch die Zungenbrecher: »Die Hölle für Schauspieler«, lacht sie. »Ich hatte Lust, damit zu arbeiten, als Sprechetüde, Fingerübung. Dann habe ich mich gefragt, was die Geschichte hinter dem Fischer Fritz ist, wollte Körperlichkeit gegen Sprachbarrieren setzen.« Fritz ist körperbehindert und hat eine Sprachstörung, Piotra kann kaum Deutsch. Würde Bardutzky in einer Aufführung die vielen polnischen Passagen übertiteln? »Ja. Aber ich würde mich bei einer Inszenierung nicht einmischen. Ich finde es gut, wenn jemand frei damit umgeht. Idealerweise soll der Text für Kollegen ein Trampolin zum Fliegen sein.« Da kann man sich höchstens die Zunge brechen beim polnischen Pendant zu »Fischers Fritze …«: »Jeszcze descsze chloszcza leszcze, jeszcze leszcze pieszcza kleszcze.« ||
LANGE NACHT DER NEUEN DRAMATIK
Kammerspiele | 26. Juni
Tickets: 089 23396600
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