Cineastischer Trost in Zeiten geschlossener Kinos: die Heimkino-Tipps im Februar. Mehr gibt es in der aktuellen Ausgabe.
Heimkino-Tipps im Februar
Heimkino-Tipp #1: »Lupin«
Frankreich 2020 | Idee: George Kay, François Uzan | Mit: Omar Sy, Ludivine Sagnier, Hervé Pierre, Anne Benoît u.a. | auf Netflix
Mit Schirm, Charme und Melone könnte man sich Assane Diop (Omar Sy, weithin bekannt aus »Ziemlich beste Freunde«, wofür er mit dem César ausgezeichnet wurde) auch vorstellen: Er ist ein Meisterdieb, der mit maximal lässiger Eleganz ganz schön viel auf einmal schafft. Er ist ein Robin Hood von heute, rächt sich vergleichsweise friedlich am weißen Abschaum der (französischen) Bourgeoisie, dreht an den Stellschrauben des alltäglichen Rassismus (ja, Assane ist als Kind aus dem Senegal geflohen), führt die Polizei hinters Licht (bis auf den unterschätzten Fahnder, der auch ein Arsène-Lupin-Fan ist) und bezaubert mit einer Jungenhaftigkeit, die man sonst nur bei sehr coolen Musikern erlebt. Er hat einen Grund dafür zu tun, was er tut, und das erlaubt es dem Zuschauer, sich komplett auf seine Seite zu schlagen. Soll er doch antike Colliers stehlen und Bösewichte umnieten! Auf diese Weise sieht der Zuschauer mal wieder den Louvre von innen und läuft mit den Figuren dieser absurd märchenhaften Krimiserie durch Paris, wo man ja auch schon viel zu lange nicht mehr war. Nicht besonders subtil werden hier Spannung und Gesellschaftskritik miteinander verflochten, Klischees bestätigt und durchbrochen, aber es ist flott erzählt und macht Spaß, und deshalb ist es schade, dass die erste Staffel so schnell durchgeguckt ist. Aber die nächste soll ja bald kommen, und dann wird man auch erfahren, wo Assanes Sohn Raoul (alle fühlen sich hier irgendwie mit Arsène Raoul Lupin verwandt) abgeblieben ist. ||
CHRISTIANE PFAU
Heimkino-Tipp #2: Fantastische Filmklassiker: F.W. Murnau-Edition
Stummfilmklassiker aus dem Rechtebestand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung | auf DVD/ Bluray erhältlich
»Film ist die Romantik unserer Zeit. Film ist das unerschöpfliche Abenteuer. Film ist sichtbar gewordenes Märchen, ist Bildhaftmachung von noch nie Geschautem.« Fritz Langs ebenso emphatische wie zeitlose Leitworte anlässlich der legendären Uraufführung von »Metropolis« im Jahr 1927 umreißen im Grunde die gesamte genrespezifische Bandbreite der »Fantastischen Filmklassiker«, die nun als brillante Heimkinoedition bei Leonine erschienen sind. Denn jeder dieser sechs digital restaurierten und mit umfangreichem Bonusmaterial ausgestatteten Stummfilmklassiker aus dem Rechtebestand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung »hat die Macht, geahnte Wunderwelten kommender Jahrhunderte prophetisch vor unseren Augen aufzubauen, eine Brücke zu schlagen zu den nie betretenen Gefilden noch unerreichbarer Gestirne«. Das gilt natürlich zuallererst für Langs eigenes Opus magnum, das erst 2008 und selbst wie durch ein Wunder endlich nahezu vollständig rekonstruiert werden konnte, was vorher jahrzehntelang unmöglich war. Stolze 310 Tage und 60 Nächte dauerten die Dreharbeiten von »Metropolis«. Unglaubliche fünf Millionen Reichsmark stellte die UFA als Produktionsbudget zur Verfügung: eine bis dato unvorstellbare Summe, für die
sich der spätere Exilant einst vor den Paramount-Bossen rechtfertigen musste, denen dieses Filmmonstrum bereits zur Premiere schlichtweg zu lang, zu teuer und vor allem zu unverständlich war. Welch ein großes filmhistorisches Missverständnis! Dieser monumentale, absolut zeitlose Sci-Fi-Archetypus der Filmgeschichte ist das Juwel dieser wunderbar ausgestatteten Heimkinobox. Zusammen mit »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens«, »Frau im Mond«, »Das Cabinet des Dr. Caligari«, »Der Golem, wie er in die Welt kam« und dem ebenso mehrdeutig wie hintersinnig codierten »Großfilm« (Goebbels) »Münchhausen«, dessen Drehbuch Erich Kästner unter Pseudonym schrieb, wird hier die künstlerische Phalanx des frühen deutschen Kinos vereint: ein Fest für Cineasten und Filmhistoriker. ||
SIMON HAUCK
Heimkino-Tipp #3: »Showgirls«
USA 1995 | Regie: Paul Verhoeven | Mit: Elizabeth Berkley, Gina Gershon, Kyle MacLachlan u.a. | 131 Minuten | auf DVD/ Bluray erhältlich
»MGM ahnte, dass es Probleme mit der Zensur gibt, weil ich mich in meiner Karriere immer für Subkulturelles interessiert habe. Mir wurde vorgeworfen, absichtlich provokativ zu sein, indem ich vorhatte, einen NC-17-Film zu machen«, erinnert sich der Ex-Hollywood-Auteur Paul Verhoeven (»Robocop«/»Basic Instinct«) an seinen finanziellen Totalflop »Showgirls«, für den er 1995 vor allem Spott und Hohn erntete: eine Goldene Himbeere für den schlechtesten Film inklusive. Es gehört zu Verhoevens großer Fähigkeit zur Selbstironie, dass er sich als bisher einziger Regisseur jene einmalige »Auszeichnung« persönlich überreichen ließ. »Alle meine Filme verhandeln die Themen Sex, Gewalt, Macht und Erfolg. Deshalb kam der Film auch genau so in die Kinos, wie ich und Joe Eszterhas das wollten. Dafür habe ich auf 70 Prozent meiner Gage verzichtet.« Auch der renommierte deutsche Kameramann Jost Vacano (»Supermarkt«/»Das Boot«) blickt heute im erstklassigen Bonusmaterial dieser Heimkinoedition keineswegs nur im Groll zurück an die ebenso aufwendigen wie mit 45 Millionen US-Dollar hochbudgetierten Dreharbeiten in der Showhölle von Las Vegas.
Beim Wiedersehen mit diesem Meilenstein des »guilty pleasure«-Mitternachtskinos stechen gerade dessen ausgetüftelte Bildgestaltung sowie Verhoevens radikaler Gesellschaftsblick ins Auge, der wie eine prophetische Vorausahnung in die sexistisch-zynische Glitzerwelt der Prä-#MeToo-USA wirkt. Hier zählt allein der persönliche finanzielle Aufstieg: Dafür geht auch jedefrau über Leichen. Wer also glaubt, dass nur ein gewisser Donald T. über jene dämonischen Fähigkeiten verfügt, sollte erst noch einmal in diesen Albtraumtaumel aus blanken Brüsten, flegelhaften Dialogen und Hunderten Spotlights eintauchen. Dagegen wirkt Lynchs »Mulholland Drive«, immerhin der lange Zeit höchstgerankte Film des 21. Jahrhunderts, wie ein fröhlicher Kindergeburtstag. »It’s a cynical world«, schmettert ihm Verhoeven mit dieser Babylon-LasVegas-Etüde entgegen. ||
SIMON HAUCK
Weitere Heimkino-Tipps:
November 2020
Juni 2020
Mai 2020 (1)
Mai 2020 (2)
Mai 2020 (1)
April 2020 (1)
April 2020 (2)
April 2020 (3)
Unsere aktuelle Ausgabe
Das könnte Sie auch interessieren:
Massive Talent: Das Phänomen Nicolas Cage
Drei Etagen: Nanni Morettis neuer Kinofilm
Vogelperspektiven: Regisseur Jörg Adolph im Interview
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton