Diese Comics von Andre Lux, Daria Bogdanska und Corinne Maier und Aurélia Aurita sezieren heutige Arbeitswelten.

»Fang’ besser an zu rauchen!«

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»Von Unten« von Daria Bogdanska | © Avant-Verlag, 2019

So ein kleines Strichmännchen – aber so was von hasserfüllt: Lars verachtet sein Spiegelbild am Morgen, er verachtet Kaffeewitze an der Kaffeemaschine, Meetings, Grafik-, Sales- und SEO-Leute, vor allem aber verachtet er den jugendlichen Slang der New Economy: pseudoironische Verniedlichungen wie tippitoppi oder Konfi, entfremdete Adjektive wie proaktiv und natürlich jede Form des Business-Sprechs von Workflow über Usability bis Telko. In »Lars – der Agenturdepp« begleitet Comickünstler Andre Lux seine motzende, rauchende Titelfigur mit der schlechten Haltung, der hohen Affinität zu Fäkalsprache und dem scharfen Blick für die wunden Punkte seiner Kollegen durch einen prototypischen Tag in seiner fancy
Onlinemarketing-Klitsche.

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So sinnlos, zäh und quälend wie die Arbeit von Lars, die Lux mit wenigen Strichen und viel abgründigem Humor auf Karopapier bannt, verläuft auch der Job von Corinne Maier. Genauer: verlief. Sie zog sich den Zorn der Konzernleitung zu, weil sie als Angestellte des französischen Energieanbieters EDF ein polemisches Pamphlet mit dem Titel »Die Entdeckung der Faulheit« (deutsche Ausgabe: Goldmann 2005) schrieb. Zu ungeahnter Publicity verhalf ihr und ihrem Buch das Unternehmen selbst, indem es ein Disziplinarverfahren gegen sie anstrengte. All das hat Maier nun einer geschickten Zweitverwertung zugeführt: Comiczeichnerin Aurélia Aurita übersetzt die doppelte Odyssee – als Angestellte durch eine hochgradig ritualisierte Arbeitswelt und als Bestsellerautorin durch eine hysterische Medienlandschaft – in einen leicht und schwungvoll gezeichneten Comic: »Mein Leben ist ein Bestseller«.

Vor lauter Dynamik surft hier der EDF-Manager, der Corinne mit der aktuellen Umstrukturierung aka (also known as) Entlassungswelle vertraut macht, selbst auf einer Metaplankarte durch das neue Organigramm. Er beschreibt einen schwungvollen Bogen zwischen Pfeilen und Buzzwords wie Matrix-Organisation, Motivation und Skaleneffekt und landet mit den Worten, »kommen Sie, es gibt ein Gruppenmeeting, let’s go«, wieder in der Realität vor der Nase seiner konsternierten Mitarbeiterin. Was dem Manager vorschwebt, wirkt in diesem Großkonzern des Jahres 2005 mit seinen althergebrachten Strukturen, bürokratischen Abläufen und Solitaire spielenden Sekretärinnen noch, als sei ein Ufo gelandet. In der Welt des Onlinemarketings von Agenturdepp Lars ist es längst Realität. Teams machen täglich unbezahlte Überstunden, vorgeblich aus Spaß an der Arbeit; Meetings werden voll dynamisch im Stehen abgehalten; die Umgangsformen sind seltsam schambefreit, als wären alle hier intimste Freunde. Hierarchien scheint es in solchen Läden kaum mehr zu geben – bis ein Großprojekt platzt und dann plötzlich einer der guten Freunde die anderen guten Freunde entlässt.

Beiden Comics gelingt es ungeheuer komisch, die bizarren Identitätsrituale und Sprechweisen der jeweiligen Arbeitsweltvorzuführen, vor allem aber die Sinnlosigkeit vieler Tätigkeiten im westlichen Spätkapitalismus. Was ihnen fehlt, ist eineAuseinandersetzung mit ihrer privilegierten Position, mit dem hohen Freiheitsgrad als hervorragend ausgebildete Volkswirtin beziehungsweise Marketingexperte. Diese machen ihre beißende Kritik erst möglich.

Comics als Spiegel der globalisierten Arbeitswelt

Aus einer ganz anderen Perspektive, »Von unten« nämlich, nähert sich Daria Bogdanska dem Thema Arbeitswelt. In ihrergleichnamigen autobiografischen Graphic Novel schildert sie, wie sie sich als junge polnische Migrantin ohne Ausbildung und Steuernummer in Schweden mit denkbar miesen Jobs über Wasser hält, um einen Zeichenkurs absolvieren zu können: Einmal sieht man Daria fröhlich winkend oben links in ein ganzseitiges Schwarz-Weiß-Bild laufen. Es zeigt eine Uhr, drum herum die sieben Wochentage. Oben setzt sich Daria an ihr Zeichenpult, rechts führt sie mit Stift und Block am Straßenrand kauernd eine Verkehrszählung durch, unten links kellnert sie im »Indian Curry Hut«. Unten rechts verlässt sie schwankend und gebeugt den Kreis, »Pennen« und »Nach Hause« sagen ihre Gedankenblasen, mehr ist nicht mehr drin.

Daria lernt schnell. Zum Beispiel, dass Rauchen die einzige Möglichkeit ist, in der Gastro eine Pause zu bekommen; dasssie sich zwingen muss, auch übermüdet auszugehen, um nicht gänzlich zu vereinsamen; und dass es ungeheuer schwer ist, unter Menschen, die noch schlechter gestellt sind als sie, gegen einen ausbeuterischen Chef aufzubegehren.

Dennoch versucht Daria es. Denn der Restaurantbesitzer, auch er ein Kumpeltyp, hält seine Angestellten in multiplen Abhängigkeiten. Er meldet sie nicht beim Finanzamt an, lässt sie 15-Stunden-Schichten schieben, bindet sie mit günstigem, jederzeit kündbaren Wohnraum an sich, und er zahlt nach Herkunft: Oben stehen die Schweden, unten das pakistanischstämmige Personal, Daria in der Mitte, aber bereits unter dem Existenzminimum. »Von unten« erzählt – stellenweise etwas ausführlich und textlastig, aber mit sympathisch jugendlicher Chuzpe – vom harten Weg zu einer kleinen Revolte, unterstützt von einer Investigativjournalistin und von etwas trägen, dann aber doch hilfreichen Gewerkschaftern.

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An diesem Punkt werden die Perspektiven, man könnte auch sagen die Klassenstandpunkte, der drei Comics deutlich: Daria ist auf gewerkschaftliche Solidarität angewiesen, so oldschool ihr das anfangs vorkommt. Corinne kooperiert nur so lange mit dem Betriebsrat, wie sie selbst etwas davon hat. Bei Lars spielt all das keine Rolle. Er entscheidet sich schließlich, völlig abgenervt und auf niedliche Art zukunftsfreudig, die IT hinzuschmeißen und in einem Jugendzentrum zu arbeiten. Drei lesenswerte Comics, drei tolle, sehr unterschiedliche Zeichenstile, drei Perspektiven – und ein signifikantes Gesamtbild: Das einer globalisierten Arbeitswelt, die ganz grundlegend in Schieflage ist. ||

ANDRE LUX: LARS – DER AGENTURDEPP
Cross Cult, 2019 | 36 Seiten | 12,99 Euro

DARIA BOGDANSKA: VON UNTEN
Aus dem Schwedischen von Katharina Erben
Avant-Verlag, 2019 | 200 Seiten | 22 Euro

CORINNE MAIER, AURÉLIA AURITA: MEIN LEBEN IST EIN BESTSELLER
Aus dem Französischen von Edmund Jacoby
Jacoby & Stuart, 2016 | 104 Seiten | 19,95 Euro

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