Der französische Chefsurrealist Quentin Dupieux manipuliert in seinem Film »Die Wache« die Feinmechanik der Logik.

Grégoire Ludig und Benoît Poelvoorde in Quentin Dupieux’ »Die Wache« | © Little Dream Pictures
Kino ist Illusion. Als Regisseur hat man die Wahl, diese zu bedienen und aufrechtzuerhalten, um den Zuschauer maximal ins Geschehen zu ziehen. Oder man bricht die Illusion und verweist auf die Künstlichkeit des Mediums, indem man die vierte Wand durchbricht oder logische wie materielle Nahtstellen offenlegt. Der Franzose Quentin Dupieux, der in den Neunzigern als Mr. Oizo mit Elektrobeats und der gelben Flauschpuppe Flat Eric bekannt wurde, hat den surrealen Illusionsbruch zum Zentrum seiner Arbeit gemacht. Schon in seinem ersten Film »Rubber« aus dem Jahr 2010, in dem ein Autoreifen auf Killertour geht, bricht die Handlung plötzlich ab und ein Polizist liest das weitere Drehbuch einfach vor. Das Filmemachen in all seiner technischen wie künstlerischen Materialität rückt immer wieder in Dupieux’ Sichtfeld. Wie in »Rubber« oder in dem dieses Jahr in Cannes präsentierten »Deerskin«, in dem eine Wildlederjacke wild mordet, verquickt er das Ausstellen seines Handwerks meist mit einer Krimihandlung. In »Die Wache« nun verdichtet er dieses Prinzip in einem Verhörzimmer zu einem Kammerspiel.
Louis hat nachts eine Leiche vor seinem Wohnhaus gefunden und soll als einziger Zeuge und Verdächtiger seine Aussage machen. Sieben Mal ging er an dem Abend außer Haus, sieben Geschichten muss er erzählen und weil die Uhren sowohl auf der Wache als auch in den Rückblenden seiner Erinnerung falsch gehen, gerät auch die Chronologie der Handlung durcheinander. Die überlappenden Zeitebenen lassen den Kausalzusammenhang des vermeintlichen Mordes in sich zusammenklappen. Als sich ein Hilfspolizist auch noch aus Versehen selbst mit einem Geodreieck ersticht und Louis ihn aus Verzweiflung in den Schrank räumt, ist es mit der Logik ganz aus. Denn Louis trifft in seiner Erinnerung plötzlich dessen Ehefrau, traut sich aber nicht, ihr zu sagen, weshalb ihr Mann noch nicht zu Hause ist. Wie in einem Unendlichkeitsspiegel dreht sich die Handlung in einem ewigen Paradox bis zur endgültigen Verfremdung um sich selbst. Dupieux fragt mit stetem Augenzwinkern nach den Bedingungen und Spielregeln von Realität und danach, was passiert, wenn man deren Feinmechanik manipuliert. Dabei testet er immer weiter die Grenzen dessen aus, welche Volten sein Publikum bereit ist mitzugehen.
»Die Wache« lebt zudem von den absurden Dialogen und dem trockenen Spiel der beiden Hauptdarsteller. Als Commissaire Buron ist Benoît Poelvoorde, der 1992 mit der Serienmörder-Mockumentary »Mann beißt Hund« schlagartig bekannt wurde, und als Louis ist Grégoire Ludig zu sehen, und die beiden spielen die surrealen Dialoge so nüchtern und perfekt getimt, dass sie beinahe wie ein Slapstick-Komikerduo wirken und so den Film in all seiner Paradoxität erden. Denn auch wenn Dupieux seinem Faible für das Surreale treu bleibt, ist »Die Wache« sein bisher wohl zugänglichster Film. ||
DIE WACHE
Frankreich 2018 | Regie: Quentin Dupieux | Mit: Benoît Poelvoorde, Grégoire Ludig, Marc Fraize, Anaïs Demoustier | 74 Minuten
Kinostart: 12. Dezember
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