Der 47-jährige Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss erhält den Georg-Büchner-Preis 2019.

Lukas Bärfuss| © Stefano de Marchi

Wie ein hypnotischer Sog wirkt die Sprache von Lukas Bärfuss. Sie ist von größter Klarheit, präzise, kühl und nüchtern und zugleich poetisch. Es geht von ihr eine spürbare Wärme aus, aus der eine große Empathie für den Menschen spricht, für das Menschsein in all seiner Tragik. Die markante Sprache des im Dezember 1971 im schweizerischen Thun geborenen Georg-Büchner-Preisträgers 2019 zeichnet sein ebenso vielfältiges wie disparates und im deutschsprachigen Raum wohl singuläres Schaffen aus.

Das Werk des heute in Zürich lebenden 47-jährigen Schriftstellers – verheiratet, mehrfacher Vater, mehrfach obdachlos und darum wissend, was es bedeutet, arm zu sein – besteht aus etwa 25 Theaterstücken, aus den beiden Essaybänden »Stil und Moral« (2015) und »Krieg und Liebe« (2018), aus politischen Aufsätzen für Zeitungen und Zeitschriften und, vor allem und nicht zuletzt, aus seinem Prosawerk: einer ersten Novelle, »Die toten Männer« (2002), die er mit 30 verfasst, und den bislang drei Romanen – darunter sein erfolgreichster, in über ein Dutzend Sprachen übersetzter, »Hundert Tage« (2008), der den Ruandakrieg des Sommers 1994 aus dem Blickwinkel des Schweizer Entwicklungshelfers David literarisch eindringlich behandelt.

Der Schweizer Lukas Bärfuss wiederum nennt den Schweizer Robert Walser einen seiner größten Einflüsse und in dem in »Stil und Moral« enthaltenen Essay »Der Augenblick der Sprache« schildert er sein Walsersches Initiationserlebnis, schreibt von einem »Schock«, einem »Schrecken«: »Walser hat mich ins Herz getroffen (…), und mich bei jeder Lektüre neu berührt. Seine Literatur fragt mich nicht, wer ich bin, was ich kann, was ich gelesen habe oder wie groß mein Wissen ist. Sie fragt mich bloß: Bist du bereit? Willst du sehen?« Genau das macht Bärfuss heute – ein großer Glücksfall.

Sein jüngster Roman »Hagard« (2017) ist zugleich sein schönster, sein wahrhaftigster und vielleicht auch sein rätselhaftester. »Hagard« – 2019 neu im Taschenbuch erschienen – erzählt von der Odyssee eines Mannes durch eine Stadt, vermutlich Zürich, die er out of the blue beginnt und bei der er einer namenlosen Frau in »pflaumenblauen Ballerinas« auf all ihren Wegen folgt, einer völlig Fremden, die er zuvor nie gesehen, nie gesprochen hat und mit der er auch nie sprechen wird. Das wird den erfolgreichen Geschäftsmann an die Grenzen seines Daseins führen und schließlich seine ganze Existenz in Frage stellen. Erzählt aus zwei Perspektiven in einer großen Parallelmontage, ist der Roman ein Gleichnis über unsere Gegenwart und unsere schnelllebige Gesellschaft.

In seiner Haltung ist Lukas Bärfuss unbestechlich. Er ist ein Unangepasster, ein Unbequemer, der in der Schweiz den einen als würdiger Nachfolger Max Frischs oder Friedrich Dürrenmatts gilt, den anderen als intellektueller Querulant ein Dorn im Auge ist. Seine gesellschaftskritischen Essays, etwa der in der »FAZ« im Oktober 2015 publizierte »Die Schweiz ist des Wahnsinns«, werden in Bärfuss’ Heimat äußerst kontrovers rezipiert. Sein Blick auf die Dinge des Lebens ist unbeirrt, zuweilen schmerzvoll. Soeben, druckfrisch zum Büchner-Preis, sind erstmals auch Erzählungen von ihm erschienen, der längste der dreizehn Prosatexte gibt dem schmalen Band seinen Titel: »Malinois« (2019). Aus Georg Büchners »Woyzeck« stammt der viel zitierte Ausspruch: »Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.« Über diesen Abgrund schreibt Lukas Bärfuss in einer in der zeitgenössischen Literaturlandschaft einmaligen Sprache. ||

LUKAS BÄRFUSS: HAGARD
Wallstein, 2017 | (geb.) 19,90 Euro || btb, 2019 | 176 Seiten
(Tb.) 10 Euro
LUKAS BÄRFUSS: MALINOIS
Wallstein Verlag, 2019 | 128 Seiten | 18 Euro

Veranstaltungen mit Lukas Bärfuss:
FRAGEN AN DIE WELT NACH 1989 (# 3)
Antworten von Lukas Bärfuss und César Rendueles | Moderation: Raul Zelik (Autor und Politikwissenschaftler) | 18. Nov. 18.30 Uhr | Literaturhaus, Saal | Eintritt 10 Euro / 8 Euro

ESSAYS AUS DER SCHWEIZ, PROSA AUS INDIENLUKAS BÄRFUSS, MEENA KANDASAMY
Moderation: Cornelia Zetzsche (BR2) | 19. Nov.| 20.30 Uhr
Literaturhaus, Bibliothek | Eintritt 12 Euro / 8 Euro

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