»Es hätte schlimmer kommen können – Mario Adorf« von Dominik Wessely ist der durchaus grandios gescheiterte Versuch einer Annäherung an eine SchauspielIkone.

Mario Adorf in Dominik Wesselys Dokumentarfilm »Es hätte schlimmer kommen können«| © Coin Film

Kann man einer Ikone der deutschen, nein, der internationalen Schauspielkunst in einem 96 Minuten langen Dokumentarfilm gerecht werden? Natürlich nicht. Mario Adorf, inzwischen 89 Jahre alt, hat Dinge erlebt, die für ein Dutzend Leben und für wohl 50 Filme reichen würde. Regisseur Dominik Wessely hat sich trotzdem dieser Herkulesaufgabe gestellt … und ist grandios gescheitert. Und das ist durchaus als Kompliment zu werten. »Es hätte schlimmer kommen können – Mario Adorf« – so der Titel dieser Hommage an einen Film- und Theaterbesessenen – erzählt nicht viel Neues über Mario Adorf und lässt auch Vieles ungesagt.

Dennoch kann man sich dem Gezeigten nur selten entziehen. Das liegt zum einen an der Aura, der unglaublichen Ausstrahlungskraft und Präsenz, die die »Halbwaise aus dem Eifelstädtchen Mayen« nach wie vor besitzt (wieso sollte Adorf sie auch verloren haben?). Zum anderen hat es Wessely geschafft, seinen Protagonisten an einige markante Orte zu entführen, die dessen Schicksal maßgeblich beeinflusst haben. Dazu zählt zum Beispiel ein Besuch bei der Otto-Falckenberg-Schule, wo Adorf mit dem aktuellen Leiter Jochen Noch plaudert und sich erinnert, dass er damals dort nur wegen »seiner Kraft und Naivität« auf Probe aufgenommen wurde. Oder ein Trip in seine Wahlheimatstadt Rom, wo er 30 Jahre seines Lebens verbracht hat und nun in einem urigen Laden voller Kinodevotionalien mit seiner Vergangenheit zur Blütezeit der Cinecittà-Studios konfrontiert wird.

Schließlich wird auch das Auspacken von Mutters alter Nähmaschine zu einem großen emotionalen Moment, wenn Adorf erzählt, dass seine Mutter kaum Berührungen duldete, einmal gar eine Schere nach ihm warf (die ihn nur knapp verfehlte), und er das Verhältnis zu ihr als »unzärtlich« beschreibt. Es wird aber nicht nur geredet in dieser Dokumentation. Wessely zeigt viele Standfotos, aber auch Clips aus den wichtigsten Werken des am 8. September 1930 in Zürich geborenen Adorf, der im Übrigen gerne Bildhauer geworden wäre. Dann hätten wir aber auf solche darstellerischen Höhepunkte wie in »Kir Royal« (»Ich scheiß’ dich zu mit meinem Jeld«), »Die Blechtrommel« (wo er von den Kugeln eines russischen Soldaten durchbohrt wird) oder in »Lola« (als »Aasgeier«-Bauunternehmer Schuckert) verzichten müssen. »Es hätte schlimmer kommen können« stellt sich ganz in den Dienst des Künstlers, der hier porträtiert wird. Dieser hält die Fäden in der Hand, spielt mit der Kamera, während er erzählt, und Adorf ist ein wahrlich brillanter Erzähler.

Unterbrochen wird er eigentlich nur von zwei Frauen, die kurz mit ihm plaudern dürfen: Senta Berger (was war und ist das für eine unverschämt hübsche Frau!), die sich mit ihm über Anekdoten aus der gemeinsamen Zeit in Hollywood austauscht, und Margarethe von Trotta, mit der es kurz sogar politisch wird, als man auf »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« und damit zwangsläufig auf die wilde Ära des Neuen Deutschen Films zu sprechen kommt. Und schließlich darf auch die berühmte Episode mit Robert Siodmak nicht fehlen. Der Regisseur wollte Adorf für »Nachts, wenn der Teufel kam« besetzen und verlangte beim Casting von ihm: Schauen Sie mal böse. Dieser Satz wurde dann auch zum Titel des 2015 erschienenen Buchs mit Geschichten aus seinem Schauspielerleben, mit dem Adorf immer wieder auf Lesungstour geht.

Zum Programm gehört auch ein simulierter, sich langsam steigernder Lachanfall, an dessen Ende sich der große (doppeldeutig gemeint) Schauspieler wie bei einem epileptischen Anfall auf dem Boden wälzt und alle Extremitäten von sich streckt. Ein grandioses Live-Erlebnis, das diese Dokumentation zwar nicht zu bieten hat, wohl aber viele andere schöne Momentaufnahmen aus dem ausgefüllten und erfüllten Leben eines wunderbaren Wesens, das stets Mensch und immer menschlich geblieben ist. ||

ES HÄTTE SCHLIMMER KOMMEN KÖNNEN – MARIO ADORF
Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | Regie: Dominik Wessely
Mit: Mario Adorf, Senta Berger, Margarethe von Trotta u. a.
98 Minuten | Kinostart: 7. November

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