Neue Themen, altbewährte Events und die Ehrung einer langjährigen Begleiterin. Für das Fünf Seen Filmfestival lohnt es sich wieder, die Stadt zu verlassen.
Das Wahnsinnshotel in Kubricks »Shining«, die Mordwohnung in Hitchcocks »Cocktail für eine Leiche«, die futuristischen Bürokratiefestungen in Tatis »Play Time«: Wunderbare Beispiele für die Macht des Raumes in der Filmgeschichte, bei denen die Umwelt selbst zum Protagonisten wird. Das Fünf Seen Filmfestival bietet mit seinem diesjährigen Schwerpunkt »Raum« einige cineastische Innenansichten.
Dabei sind für Festivalleiter Matthias Helwig nicht nur psychologische und ästhetische Fragen wichtig. »Wie gestalten wir den Raum um uns aus? Wie viel Raum brauchen wir? (…) Wie ist der politische Raum für uns definiert, von der Gemeinde aus zur Stadt, zum Land, zum Kontinent?« Dazu gibt es zahlreiche öffentliche Diskussionen mit namhaften Besuchern wie Tom Tykwer, Uli Hanisch und dem Ehrengast Caroline Link. »Ich bewundere Caroline Links Arbeit nicht seit dem Oscargewinn, sondern schon von ihren ersten Anfängen nach der Zeit an der Hochschule für Fernsehen und Film, die wir beide besucht haben«, so Helwig. Im Programm des FSFF sind ihre Filme »Nirgendwo in Afrika«, »Pünktchen und Anton«, sowie die Hape Kerkeling-Verfilmung »Der Junge muss an die frische Luft« zu sehen.
Helwig nutzt auch die Doppeldeutigkeit des Wortes »Raum«, um über ein ganz reales Thema zu sprechen. Bei der Diskussionsrunde »Ist das Kino noch der Raum für die Zukunft des Sehens?« spricht bereits der Titel Bände. Nach dem DOK.fest und dem Filmfest München ist die Frage nach dem zukünftigen Kinoerlebnis also auch im Fünfseenland angekommen. Schließlich musste Helwigs Breitwand-Kino in Herrsching im April des letzten Jahres schließen.
Die Konflikte unserer Welt stehen wieder beim »Horizonte«-Filmpreis im Mittelpunkt. Mirjam Leuzes Dokumentarfilm »The Whale and the Raven« befasst sich mit der Zerstörung der Umwelt und dem Kampf dagegen. »Und der Zukunft zugewandt« (R: Bernd Böhlich) und »Zwischen uns die Mauer« (R: Norbert Lechner) werfen einen Blick zurück auf die Teilung Deutschlands. Laut Helwig soll aber die gesellschaftliche Stellung der Frau ein besonderer Schwerpunkt sein. Als Beispiel dafür steht der russische Film »Lara, Irina … oder Gott existiert: Ihr Name ist Petrunya« von Teona Strugar Mitevska. Hier geht es um eine junge Frau, die ihre aufgezwungene Rolle satt hat und sich öffentlichkeitswirksam emanzipiert – bei einem christlich-orthodoxen Ritual ihres Heimatdorfes.
Mit Hannelore Elsner verstarb im letzten Jahr eine Freundin des Festivals. Ihr zu Ehren wird zum ersten Mal ein Preis für bedeutende Schauspielkunst in Höhe von 5000 Euro verliehen. Für Helwig eine Selbstverständlichkeit. Erste Preisträgerin ist Barbara Auer, sicher am meisten bekannt durch ihre zahlreichen Rollen in Fernsehkrimis wie »Polizeiruf 110« und »Nachtschicht«. Auf der Leinwand debütierte sie 1983 in Alexander Kluges »Die Macht der Gefühle«, später spielte sie auch unter Christian Petzold (u. a. »Transit« und »Die innere Sicherheit«), Christine Repond (»Vakuum«) und Margarethe von Trotta (»Ich bin die Andere«).
Eine Neuerung gibt es auch bezüglich der beliebten Dampferfahrt. Das Open-Air-Kino auf dem Wasser soll einen neuen Stellenwert bekommen. »Wir wollen dieses Event noch mehr aufwerten, indem wir es an das Ende des Festivals rücken und die Verleihung der Hauptpreise dort vornehmen. Dadurch wird eine oft sich etwas ziehende Abschlussfeier zu einem wirklichen Höhepunkt des Festivals«, so Matthias Helwig. Der Raum für die Zukunft des Sehens ist ein Dampfer vielleicht nicht, aber ein schönes gegenwärtiges Erlebnis allemal. ||
FÜNF SEEN FILMFESTIVAL 2019
An verschiedenen Spielorten im Fünfseenland | 4. bis 12. September| Programm
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