Richard Gleims Bildband »Geschichte wird gemacht« dokumentiert den musikalischen Underground der Achtziger.

Ratinger Hof 1981: Punk
war auch jede Menge Spaß © Richard »ar/gee« Gleim aus dem Bildband »Geschichte wird gemacht«

»Schneid dir die Haare, bevor du verpennst«. Daran habe ich mir ein Beispiel genommen, 1982, ein Jahr nachdem wir das Album »Monarchie und Alltag« der Fehlfarben rauf und runter gehört hatten. »Gott sei dank nicht in England« hieß die Nummer und ihre Quintessenz lautete: »Und wenn die Wirklichkeit dich überholt, hast du keine Freunde, nicht mal Alkohol«. Vielleicht wollten wir das in der Provinz der alten Bundesrepublik, wo wir unsere Jugend verbrachten. Dorthin brauchte Punk etwas länger, nahm seinen Weg auch mal über Ton Steine Scherben und arrangierte sich sogar mit Birkenstock-Trägerinnen.

Einem anderen Lied der legendären Fehlfarben-LP hat der Fotograf Richard »ar/gee« Gleim den Titel seines schwarz-weißen Bildbandes mit Fotos von Konzerten, Musikern und Publikum aus den Achtzigern entnommen: »Geschichte wird gemacht« aus »Ein Jahr (Es geht voran)«. Der Bildband ist nur eine von vielen Veröffentlichungen der letzten Jahre, die den Punk feiern. Das schmutzige Kind der Popkultur, das doch wie kaum ein anderes eine große Kraft besitzt. Es würde sonst nicht immer wieder recycelt werden, auch wenn es dabei oft zur modischen Attitüde verkommt. Ausgerechnet in Düsseldorf, im Ratinger Hof, befand sich eines seiner Epizentren, in der Stadt, die von den dort beheimateten Toten Hosen 1983 als »Modestadt Düsseldorf« besungen wurde, was von ihren Hörern vielleicht zu Unrecht als Schmähung aufgefasst wurde.

Um sich in der Punkszene rumzutreiben, war Richard Gleim, Jahrgang 1941, eigentlich viel zu alt. Trotzdem avancierte er zum Fotografen der Düsseldorfer Szene mit Ausflügen nach Berlin, Hamburg und anderswo. Vielleicht tat ein wenig Abstand gut. Gleims Fotos strahlen eine gewisse Ruhe aus, die lauten, oft (aber eben nicht immer) dilettantisch gespielten Drei-Akkord-Nummern liegen wie ein Hintergrundrauschen über den Bildern. Gleim dokumentiert auch Kunsthochschüler, die experimentellen Krach machen, NDW und New Wave, was fließend ineinander überging. Die Herausgeber Xaõ Seffcheque und Edmund Labonté bezeichnen Punk als die »mutmaßlich wesentlichste[n] Kultur-Revolution seit Dada«. Richard Gleim kommentiert einzelne Fotos mit Anekdoten aus der Zeit.

Und 14 Autoren auch jüngerer Generationen erklären in kurzen Aufsätzen, was Punk und NDW mit ihrem Leben gemacht hat. Peter Hein von Fehlfarben und Family*5 steuert einen etwas seltsamen Beitrag über Autorennen und Formel 1 bei. Für Musikjournalistin Christina Mohr war Punk ein früher Fahrschein raus aus der Provinz. Die nachgeborene Miriam Spies berichtet von NDW-Sozialisation im Kindergarten, die anscheinend zwangsläufig darin mündete, die Biografie von DAF zu schreiben.

Leben wir in den Trümmern unserer eigenen Jugend, wie es Family*5 in »Stein des Anstoßes« auf der beiliegenden CD singen? Oder wie ist die intensive Beschäftigung mit Punk zu erklären? Vielleicht doch einfach damit, dass seine Protagonisten, wie Spies schreibt, »fernab aller Eitelkeiten ja tatsächlich etwas losgetreten, tatsächlich Geschichte gemacht« haben. Danke dafür. ||

XAO SEFFCHEQUE UND KARL-MARX-BROTHERS
Büchersalonim Mucca | Dachauerstr. 114
15. Juni| 20 Uhr | Eintritt frei

AR/GEE GLEIM: GESCHICHTE WIRD GEMACHT.DEUTSCHER UNDERGROUND IN DEN ACHTZIGERN
Heyne Hardcore, 2019 | 244 Seiten, 100 s/w
Abbildungen, inklusive CD mit 7 Songs | 30 Euro

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