Drastischer Realismus, dramatische Ausleuchtung und neue Themen: Caravaggio prägte um 1600 einen überwältigenden Hell-Dunkel-Stil, der in Europa rasch Anhänger fand. Das zeigt eine hochkarätige und
spannende Ausstellung in der Alten Pinakothek.
Sichtbar schwer wiegt der hell schimmernde Leichnam Christi, den der Evangelist Johannes und Nikodemus, auf der Grabplatte stehend, in das offene Grab legen. Grandios ist die Komposition der Körper und Gliedmaßen der Gruppe, bestechend die Lichtführung. Schon zu Lebzeiten Caravaggios zählte man das 1603 für die Chiesa Nuova gemalte drei mal zwei Meter große Altarbild »Grablegung Christi« zu den besten Arbeiten des in Rom wirkenden Michelangelo Merisi (1571–1610). Sein Kurzname verweist nicht auf den Geburtsort des Künstlers – das war Mailand –, sondern auf die Herkunft der Eltern aus dem Dorf Caravaggio bei Bergamo. Im Bildhintergrund trauern drei Frauen, eine reckt die Arme empor, ins Licht. Im Katalog zur Ausstellung »Utrecht, Caravaggio und Europa« werden sie als Muttergottes, Maria Magdalena und wahrscheinlich Maria Cleophas ausgemacht. Zusammen mit der Kuratorin Liesbeth Helmus vom Centraal Museum in Utrecht, wo die Ausstellung zuerst zu sehen war, hatte Bernd Ebert, Sammlungsleiter Holländische und Deutsche Barockmalerei der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, diese deutsch-niederländische Kooperation fünf Jahre lang vorbereitet. Dass darin erstmals in Deutschland auch die berühmte »Grablegung Christi« von Caravaggio als Leihgabe des Vatikans zu sehen ist, ist laut Ebert der Fürsprache von Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising zu danken. Allerdings ist das kostbare Gemälde, wie zuvor in Utrecht, nicht über die gesamte Ausstellungsdauer zu sehen, sondern nur vier Wochen lang.
Während also die Ausstellung in der Alten Pinakothek bis zum 21. Juli dauert, endet am 20. Mai die Besuchszeit für Caravaggios Meisterwerk von 1603, die Vorlage für andere gezeigte »Grablegungen«, die europäische Caravaggisten im 17. Jahrhundert weniger kopierten als vielmehr der Inspiration folgend neu entwickelten. So hängt derzeit zur Linken des Originals von Caravaggio eine Neuinterpretation des Motivs vom jungen Utrechter Maler Dirck van Baburen, der ebenso wie die auch präsentierten Utrechter Künstler Hendrick ter Brugghen oder Gerard van Honthorst als junger Student im frühen 17. Jahrhundert nach Rom gereist war, um die neue naturalistische Maltechnik Caravaggios zu erleben. »Im Austausch mit zahlreichen jungen Künstlern, die um 1600 aus ganz Europa in die pulsierende Metropole strömten, entwickelten die drei Utrechter ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Stil, indem sie Caravaggios drastischen Realismus auf die Spitze trieben«, heißt es dazu im Katalog. Keine alten Meister, sondern angehende, circa 20 Jahre alte Künstler schufen damals also die Mehrzahl der 75 hier gezeigten Bilder, von denen übrigens nur vier von Caravaggio selbst sind. Darunter immerhin auch seine berühmte »Medusa«, ein weiterer kunsthistorischer Höhepunkt. Ausstellungen zu Caravaggio selbst habe es wiederholt gegeben, begründet Ebert die Idee, nunmehr dessen Einfluss auf die europäische Kunst an seine »Nachahmer« aufzuzeigen.
Doch schon Dirck van Baburens »Grablegung Christi« ahmt das Vorbild nicht nur nach. Geradezu undankbar belegt der Vergleich in der Ausstellung: Baburen übertrifft den Meister sogar. Was bei Caravaggio nämlich noch wie auf einer Bühne inszeniert erscheint, gleicht bei Baburen der zufälligen Momentaufnahme einer Grablegung, in der der von Nikodemus und Johannes getragene und ob seines Gewichts eingesackte Körper Christi im eigenen Schatten verschwindet. Das hat alles nichts mehr mit den bis dato geltenden Idealisierungen des Gezeigten zu tun. Gleichwohl jene neue Maltechnik der Gegenreformation, die jeden Schattenwurf und jeden Lichtstrahl minutiös ausarbeitete, schon zu Lebzeiten der Künstler deren Erfolg begründete, stießen etwa die naturalistisch nachempfundenen schmutzigen Füße von dargestellten Heiligen nicht immer auf das Verständnis der kirchlichen Auftraggeber.
Internationale Leihgaben aus circa 50 Museen, kirchlichen Einrichtungen und Privatbesitz, die zum Großteil erstmals in Deutschland zu sehen sind, eint nun die atemberaubende Ausstellung, in der jedes einzelne Exponat bereits den Besuch lohnt. Die Schau ist nach Themen gegliedert: Christus-Motive, alttestamentarische Helden, Heilige und Sünder, letzterer sind Genreszenen von Wahrsagerinnen, Spieler und Musikern.
Zusätzlich bietet der über Kopfhörer vermittelte Audioguide zu jedem Bild einen »Soundtrack«, circa einminütige musikalische Miniaturen also, die Studierende der Musikhochschule in München unter der Leitung von Professor Jan Müller-Wieland komponiert und eingespielt haben. Häufig Klaviermusik, aber auch eine mit Schlagzeug und Sklavenketten ausgedrückte Musik, wie sie zum Beispiel von Felix Bönigk komponiert auf Dirck van Baburens 1623 entstandenes Gemälde »Prometheus wird von Vulcan gefesselt« reagiert. Eindrucksvoll verstärkt die Musik bisweilen das Gezeigte. Ein anderes Mal scheint sie die im Bild verhandelte Geschichte weiterzuerzählen. Und wieder ein anderes Mal kommentiert die Musik sogar das Bild. Er habe die Studierenden, die jetzt genauso alt sind wie die von ihnen entdeckten Künstler damals, aufgefordert, frech dem eigenen Blick auf die Kunstwerke Geltung zu verschaffen, sagt Müller-Wieland. Nun haben die Bilder nach vier Jahrhunderten ohnehin nicht ihre Aktualität eingebüßt. Trotzdem scheint die Musik ein zusätzliches Fenster in die Gegenwart zu sein. ||
UTRECHT, CARAVAGGIO UND EUROPA
Alte Pinakothek| Barer Str. 27 | bis 21. Juli| Di / Mi 19–21 Uhr (außer 18., 19., 25., 26. 6.), Do–So: 10–18 Uhr | Führungen sowie Begleitprogramm mit Musik, Filmen etc. | Der informative Katalog (Hirmer Verlag, 304 Seiten, 330 Abb.) kostet 34,90 Euro
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