Mit »Nur eine Frau« legt Sherry Hormann einen Film vor, der die Ereignisse um die Ermordung der Berlinerin Hatun Aynur Sürücü im Jahr 2005 noch einmal aufrollt. Damit will die deutsch-amerikanische Regisseurin, die in »Wüstenblume« schon einmal ein ähnlichesThema verarbeitet hat, vor allem eines erreichen: dass wir nicht aufhören, miteinander zu reden.

Sherry Hormann © Mathias Bothor

Vor zehn Jahren haben Sie mit »Wüstenblume« bereits ein flammendes Plädoyer für die Rechte der Frau gehalten. Jetzt tun Sie es mit »Nur eine Frau« erneut. Was treibt Sie an?
In der Hauptsache geht es mir darum, Themen aufzugreifen, auf die keiner schaut. Da stehen Menschen im Fokus, die man in der Öffentlichkeit nur kurz wahrnimmt, sei es durch ein politisches Pamphlet wie bei Waris Dirie (die Autorin der Bestsellervorlage zu »Wüstenblume«, Anm. d. Red.), oder jetzt bei Hatun Sürücü. Dabei handelt es sich um die Ermordung einer Frau durch ihren jüngsten Bruder, dem sie die Windeln gewechselt hat, den sie geliebt hat, und das mitten in der Stadt, in der ich jetzt lebe. Ich will Licht auf diese Frau werfen und dabei sagen: Lasst sie uns nicht vergessen.

Berlin wird ja gerne als weltweit zweitgrößte türkische Stadt bezeichnet. Haben Sie selbst konkrete Erfahrungen mit der türkischen Community gesammelt?
Gar nicht. Im Gegenteil. Ich werde oft gefragt, wie ich es mir als Deutschamerikanerin anmaßen kann, einen Film zum Thema kurdisch-türkische Werte zu machen. Deshalb habe ich mich auch vor Beginn der Dreharbeiten beim Paten des Kiezes vorgestellt. Worauf sich folgender Dialog ergab: Er: »Hier läuft doch was falsch, oder?« Ich: »Was soll jetzt falschlaufen?« Er: »Du bist eine Frau und du kommst nicht von uns.« Und ich: »Wo ist das Problem? Ich bin eine Frau und drehe einen Film über eine Frau.« Letztendlich haben wir nichts dem Zufall überlassen. Drehbuchautor Florian Oeller hat sich im Vorfeld durch acht Meter Gerichtsakten gelesen, wir haben Interviews mit lebenden Zeitzeugen mit Ausnahme der Brüder geführt und wirklich alles doppelt gecheckt.

Glauben Sie, dass Sie durch diesen Film Ärger mit Hatuns Brüdern bekommen werden?
Ich kann mir doch nicht schon im Vorfeld Gedanken machen, ob ich Probleme kriege. Meine Hoffnung ist vielmehr, dass wir wieder debattieren. Werden doch vermehrt Statements aller Art abgegeben, anstatt wieder ins Gespräch kommen. Wir sind eine der wenigen noch funktionierenden Demokratien. Wenn wir jetzt auch noch aufhören miteinander zu reden, vor allem auch zuzuhören, dann werden Begrifflichkeiten wie »Parallelgesellschaften« Alltag. Und das darf nicht sein.

Almila Bagriacik als Aynur Sürücü| © Mathias Bothor

2009 haben Sie mit dem bereits erwähnten »Wüstenblume« ein internationales Großprojekt auf die Beine gestellt. Man hätte vermuten können, dass Sie Ihre Karriere in den USA fortsetzen. Aber Sie sind den deutschen Themen treu geblieben. Warum?
Weil ich mich hier einfach austoben darf. Auch im Fernsehen. Das hält mich in Übung, dort lerne ich viele Schauspieler kennen und darf auch dort Themen angehen, die man erst einmal nicht so gerne erzählt. Das Genre spielt dabei weniger eine Rolle, es geht um Inhalte.

Sie sind nun schon bald drei Dekaden als Regisseurin tätig. Welchen Stellenwert besitzt »Nur eine Frau« in Ihrer Filmografie?

Da schlägt einem die Zeit ins Gesicht. Im Ernst: einen ganz hohen. Ich glaube auch, dass ich mich mit den Jahren mehrund mehr traue. Man entwickelt einfach eine andere Chuzpe.

Neben Kamerafrau Judith Kaufmann und Editorin Bettina Böhler ist mit TV-Moderatorin Sandra Maischberger auch die Schlüsselposition der Produzentin mit einer Frau besetzt.
Ja. Das war ihr Kinodebüt als Produzentin, sie hat noch nie zuvor einen Kinofilm produziert. Aber sie hat sehr an das Team geglaubt und zu mir gesagt: »Sherry, was immer du machen möchtest, mach es, solange die Fakten stimmen.« Das Projekt selbst begann ja als kleiner Dokumentarfilm. Doch ich meinte: »Ich bin keine Dokumentarfilmerin, ich möchte mirdas auch gar nicht anmaßen. Aber ich würde gerne die Geschichte einer Frau erzählen, die man nicht mehr hörenkann.«

Ihr Mann, der 2017 verstorbene Michael Ballhaus, zählte zu den renommiertesten Kameramännern der Welt. Was,glauben Sie, hätte er zur Arbeit seiner Kollegin Judith Kaufmann gesagt?
Er hätte gesagt, dass sie mit ihrem Licht verzaubert, das glaube ich schon. Aber er hätte zu den Größen der Einstellungen sicherlich den einen oder anderen Kommentar gemacht. Und uns bestärkt. Michael war ein sehr politischer Mensch.

Eine abschließende Frage: Was gehen Sie als Nächstes an? Wird es »Große Ärsche auf kleinen Stühlen« sein?
Ein Hammertitel, oder? Das Projekt basiert auf einem Sachbuch, es ist eine Betrachtung von Müttern in Kindergärten, wirklich saukomisch. Leider wird daraus nichts, weil es niemand finanzieren will. Aber ich hab Glück, wir drehen »Altes Land«, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Dörte Hansen, in dem es um drei Generationen von Frauen geht. Es wird ein Zweiteiler für das ZDF, mit einem wunderbaren Schauspielensemble um Iris Berben, Maria Ehrich und Nina Kunzendorf. ||

NUR EINE FRAU
Deutschland 2019 | Regie: Sherry Hormann | Mit: Almila Bagriacik, Rauand Taleb, Meral Perin | Kinostart: 9. Mai
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