Siri Hustvedt ist für ihre Romane weltberühmt. Nun erscheinen gleich zwei Bücher von ihr. Neben dem Erzählwerk »Damals« legt die New Yorker Autorin auch einen lesenswerten Non-Fiction-Band vor. Beide Bücher verhandeln unter anderem drängende geschlechterpolitische Fragen. Am 12. April ist die Schriftstellerin an der LMU zu Gast.

Im New York der späten Siebziger geht es ein bisschen anders zu als heute, bei Siri Hustvedt klingt das so: »Vergessen wir nicht, dass New York damals gefährlich war, eine Stadt der Messer und Schusswaffen, der Kakerlaken, Ratten und aufgetürmten Müllberge, aber es war eine Stadt, die vor Ideen sprühte, und Ideen formen unsere Wahrnehmung und unsere Erinnerung. Hässlich war damals schön.« In »Damals« folgt unsere junge, aus der Provinz des Mittleren Westens stammende Heldin dem Ruf dieser schäbigen und zugleich flirrenden Metropole am Hudson, um in ihr zur Schriftstellerin und Intellektuellen zu reifen. Ihre Initialen lauten S.H. Sie teilt sie mit der Schöpferin dieses semifiktionalen Romans, Siri Hustvedt. Die heute 64-jährige Autorin ist bereits seit mehr als 30 Jahren im Literaturgeschäft und legt mit »Damals« ihren achten Roman vor. Er führt sie und ihre Protagonistin zurück in die eigene Jugend und in eine Zeit, in der es gilt, sich als junge Frau zu behaupten. Vor allem gegenüber ihren männlichen Zeitgenossen, auch und vor allem im Intellektuellenmilieu.

Ein frühes Trauma scheint sich hier fortzusetzen. Bereits als kleines Mädchen ist S.H. bildungsbeflissen und lernt die Einträge der Medizinlexika ihres Arztvaters auswendig. Der bescheinigt seiner Tochter: »Oh, du wirst mal eine gute Krankenschwester werden.« Ihren Schmerz über die Herabsetzung wird die Protagonistin dieses Buchs ihr Leben lang – bis zum Tod ihres Vaters – nicht loswerden. Aber sie beschließt schon früh: »Ich werde mich über dich hinaus lesen, Vater. Ich werde lesen, lesen und noch mal lesen.« Auch die Männer, denen S.H. in ihrem späteren Leben begegnet, werden ihr häufig mit einer Mischung aus Ignoranz und Verachtung begegnen, immer dann, wenn ihre Kommilitonen unerwünschte Impulsreferate zu Themen halten, in denen sie weitaus besser bewandert ist als sie, oder dann, wenn sie ihr bei ihrer eigenen Rede zuverlässig ins Wort fallen. »Die Herren sind sich dessen, was sie tun und sagen, nicht immer bewusst. Die Geschichte ihrer Überlegenheit ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen, in jede einzelne Zelle eingeschrieben.«

Anspruchsvolle Konstruktion
Der Roman »Damals« entfaltet sich auf drei Erzählebenen. Von einer aus spricht – mit kleinen, aber entscheidenden biografischen Abweichungen – die »reale« Schriftstellerin Siri Hustvedt aus dem Jahr 2017 zu uns. Im Haus ihrer Mutter findet sie die Tagebuchaufzeichnungen ihres jüngeren Selbst, das wiederum damit befasst ist, im selbst gewählten Großstadtexil einen erzähltheoretisch hochtrabenden Detektivroman zu verfassen. Denn passenderweise teilt die junge Heldin des Romans nicht nur ihre Initialen mit der berühmten zukünftigen Schriftstellerin, sondern auch mit denen des Meister detektivs und Zeichenlesers Sherlock Holmes. Diese Ebenen verschwimmen noch weiter, als S.H. beginnt, in detektivischer Manier dem Familiengeheimnis ihrer mysteriösen Nachbarin Lucy nachzuspüren.

Auch für geneigte Leser ergeben sich angesichts dieser literarisch anspruchsvollen Konstruktion doch einige Herausforderungen. Und nicht durchgängig erweist sich dieses Bauprinzip des Romans als tragfähig, steht der ständige Perspektivenwechsel dem Fortschreiten der Handlung doch immer wieder im Weg. Ihre große Stärke zeigt die Erzählerin Hustvedt aber einmal mehr an der Nahtstelle von Roman und Essayistik, die auch ihre früheren Arbeiten auszeichnet, genau dann, wenn sie den mentalen Vorgang des Erinnerns zunehmend selbst in den Fokus ihrer Untersuchung rückt. »Sagen Sie mir«, heißt es an einer Stelle, »wo die Erinnerung endet und die Erfindung beginnt?«

Von der Fiktion zur Nonfiction
Siri Hustvedt beschäftigt sich nämlich nicht nur aus schriftstellerischer Perspektive mit der Funktionsweise unseres Gedächtnisvermögens, sondern auch aus wissenschaftlichphilosophischer. Wie ernst ihr diese Auseinandersetzung ist, zeigt ihr parallel zum Roman erscheinender Essayband »Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen«. Sie versammelt darin ein breites Spektrum an Texten, die der Literaturwissenschaft, der Philosophie des Geistes und der Kognitionsforschung entstammen. Unter anderem geht Hustvedt darin der Frage nach, warum Frauen sowohl Bücher von Frauen als auch Männern lesen, männliche Leser jedoch die Tendenz haben, vorwiegend Bücher von Geschlechtsgenossen zu rezipieren. Der Schriftsteller Karl Ove Knausgard hat an der Stelle des Bandes einen besonders unrühmlich-exemplarischen Auftritt. Bei einem gemeinsamen Panel mit der Schriftstellerin äußert er auf die Frage, warum in seinem voluminösem Memoiren-Projekt bei Nennung Dutzender männlicher Referenzgrößen lediglich eine einzige Frau zitiert werde (nämlich Julia Kristeva): »Keine Konkurrenz.«

Bis ans Äußerste belesen
»Man braucht sein volles Bewusstsein, um wütend zu werden«, schreibt Hustvedt in ihrem Roman »Damals«. Der Satz könnte auch das leitende Motto ihrer Aufsatzsammlung sein. Informiert und bis ans Äußerste belesen geht die Autorin unter anderem den wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Neurowissenschaften nach, die in ihrem Deutungsanspruch unser Bild vom Menschen teilweise vorschnell und gesellschaftlich unhinterfragt prägen. Ebenso eindrücklich gerät ihr Ausflug in psychiatrische Gefilde, Hustvedt arbeitete einst als Creative-Writing-Lehrerin in einer Klinik für psychotisch Erkrankte. Ihre Erfahrungen dort bringen sie zu der Einsicht, dass auch die Psychiatrie dringend ihre philosophischen Grundlagen erforschen müsse. Praktische Erfahrungswerte und theoretische Höhenflüge sind bei Siri Hustvedt also kein Widerspruch. Um das Leben in seinen Facetten wahrnehmen zu können, gelte es, mittels Lektüre ein verfeinertes Bewusstsein zu kultivieren. Siri Hustvedts Bücher eignen sich für ein solches Unternehmen ganz hervorragend. ||

SIRI HUSTVEDT:DAMALS
Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald
Rowohlt, 2019 | 448 Seiten | 19,99 Euro

EINE FRAU SCHAUT AUF MÄNNER, DIE AUF FRAUEN SCHAUEN.
Essays über Kunst, Geschichte und Geist
Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald
Rowohlt, 2019 | 26 Euro

AUTORENLESUNG
LMU, Große Aula| 12. April| 20 Uhr | Moderation Susanne
Becker (ZDF) | Dt. Lesung: Lisa Wagner | Eintritt 16 / 10 Euro
(Karten unter reservix oder 089 29193427)

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