»First Reformed« von Paul Schrader beschwört die geschundene amerikanische Seele.

Ethan Hawke als desillusionierter Priester in »First Reformed« © Image courtesy of Park Circus/ Universal

Zwischen Weltschmerz und Extremismus liegt oft nur ein schmaler Grat. Das hat der amerikanische Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader wiederholt gezeigt. Im kulturellen Gedächtnis wohl am präsentesten ist immer noch sein Antiheld Travis-»Du laberst mich an?«-Bickle aus Martin Scorseses »Taxi Driver« (1976), für den er das Drehbuch schrieb. Bickle wurde zum ambivalenten Symbol für eine ganze Generation von Kriegsgegnern und Gesellschaftskritikern. Schraders aktueller Film »First Reformed« wirkt beinahe wie ein spiegelverkehrter Komplementärfilm zu diesem Klassiker, schlägt er doch viel minimalistischere und kontemplativere Töne an. Die titelgebende Kirche in Snowbridge, New York, half im 19. Jahrhundert, Sklaven von Süden nach Norden zu retten. Sie ist also ein Symbol für einen Aktivismus, der die USA lange ausgemacht hat und den Paul Schrader sowohl in »Taxi Driver« als auch in »First Reformed« reflektiert.

Der hiesige Pfarrer, Reverend Ernst Toller, predigt vor nahezu leerem Haus, die Kirche ist zur musealen Touristenattraktion verkommen. Die Gemeinde hat den emotional wie körperlich gebrochenen Mann hierher abgeschoben. In dieser Einsamkeit zieht Toller sich immer weiter auf sich selbst zurück. Seine Tagebucheinträge strukturieren als Voiceover das Geschehen und geben zugleich Einblick in eine Seele, die immer selbstzerstörerischer wird. Schrader hat dazu das Format 4:3 gewählt, um Tollers klaustrophobische Beklemmung angesichts der in ihm wachsenden Desillusionierung erfahrbar zu machen. Der Selbstmord eines befreundeten Umweltaktivisten verfolgt und lenkt ihn in eine innere Protesthaltung. Er fragt einen Energiemogul, der in einem Akt von modernem Ablasshandel – Geld gegen Umweltsünde – großzügig spendet, ob er denke, Gott würde ihm dafür vergeben.

Schrader zeigt, dass die amerikanische Seele auch 40 Jahre nach »Taxi Driver« immer noch selbstzerstörerisch ist und den Einzelnen peinigt. Doch geht er in »First Reformed« ästhetisch einen neuen Weg, nähert sich dem transzendentalen Kino, das er selbst in den Siebzigern beschrieben, aber nie selbst angewendet hat. Die statische, beobachtende, ja lauernde Kamera zeigt ungeschönte Nahaufnahmen von Tollers Gesicht, auf dem sich ein vielschichtiges spirituelles Drama abspielt. Ethan Hawkes hypnotisierende Darstellung der inneren wie äußeren Zügelung ist mit die beste seiner Karriereund suchtimamerikanischen Kino ihresgleichen. Imphysischen und psychischen Schmerz dieses Mannes zwischen rechtschaffenem Leben und Aufbegehren gegen die äußeren Umstände reflektiert Schrader den moralischen Ausverkauf der amerikanischen Gesellschaft, womit ihm einer der ästhetisch wie sozialpolitisch wichtigsten Filme der Saison gelingt.

»First Reformed« gilt zu Recht als ein Spitzenreiter der Award Season in Hollywood. Umso verwunderlicher ist es, dass der Film weltweit so zurückhaltend, man möchte beinahe sagen defensiv, vermarktet wurde. Nur in wenigen Ländern kam er überhaupt auf die Leinwand, hier ist er lediglichals Video-on-Demand online erhältlich. Ein relevanter Film wie dieser hätte nicht nur das Potenzial zu einer guten Kinoauswertung, sondern auch die große Leinwand verdient gehabt. ||

FIRST REFORMED
USA 2017 | Regie: Paul Schrader | Mit: Ethan Hawke, Amanda Seyfried | 113 Minuten | als VoD erhältlich ab 4,99 Euro
Trailer

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